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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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könnte. Sie möchten seinem Glauben auf den Grund kommen. Wo man doch den Glauben nicht gestehen kann! Man kann ihn nur glauben! Und aus ebendiesem Grund: auf den Scheiterhaufen mit ihm!
    BEGRÜSSUNG
    »Wer sagt uns, was der Himmel für uns bereithält?«, fragte Vörösmarty* in einem Augenblick wie diesem. Keiner weiß es zu sagen. Stumm und in aller Stille gehen wir unserem Schicksal entgegen. Ich grüße dich, geheimnisvolle Zeit! Soll ich dir sagen, was ich erwarte? Ich hoffe, dies ist das Jahr, in dem der Heilige Geist die Menschen beseelt, jeder in sich geht und man sich versöhnen wird. Das Jahr des Friedens soll es sein. Und das Jahr des wirtschaftlichen Aufschwungs dazu. Die Waffen zerschlagen und vergraben wir. Vickers erzeugt in Zukunft ausschließlich Stielpfannen und unzerbrechliche Schaukelpferde aus Aluminium. Es kann gar nicht anders sein … Die Menschheit besinnt sich plötzlich eines Besseren, Kriegsschiffe werden zu Luxuslinern für noble Passagiere umgebaut, und dies ist auch das Jahr, in dem Stalin den Kapitalismus endgültig erfindet. Das Leben wird wieder so sein, wie es in vorgeschichtlicher Zeit, im Frieden war. Der schwarze Pascha lässt sich in einer von Rappen gezogenen Prachtkarosse auf dem Boulevard spazieren fahren, die Menschen werden zum Himmel aufschauen, pressen die Hand aufs Herz, bevor sie sich ihre Liebe gestehen, und jeder wird sich sein Einfamilienhaus bauen, auf Kredit. Dies wird das Jahr sein, in dem ich endlich, endlich nach China reisen kann.
    So weit meine Erwartungen. Gewisse Zeichen lehren und mahnen uns, dass die Wirklichkeit ein wenig anders aussehen wird. Statt nach China werde ich wieder nur nach Eger fahren. Wieder am Morgen erwachen und auf das Wunder warten, auf die Glückseligkeit, auf einen Blick, und einen Moment lang vermeinen, die blendend leuchtende Buntheit meiner Jugend zu schauen. Und jeden Tag glaube ich, dies ist erst der Übergang und noch nicht das Richtige, noch nicht das Leben, nur die Vorübung, die Vorbereitung darauf. Aber insgeheim weiß ich es, wie ein Verschwender, der sein letztes Goldstück mit herrschaftlicher Nonchalance, eiserner Miene und mit beklemmend schlechtem Gewissen verschleudert: Viel hab ich nicht mehr. Aber das vergeude ich noch, dieses eine Jahr. Sei gegrüßt, in Zeit gefasstes Schicksal! Und schon seh ich dich davonkullern in der Ewigkeit.
    STILLLEBEN
    In meinem Zimmer registriere ich folgende Gegenstände auf einen Blick: ein Kupfertablett aus Java, einen Negerthron aus dem Kongogebiet, einen Bockstisch, den noch ein Schreiner aus der Zips getischlert hat und der im Ordenshaus von Szepesolaszi als Kantinentisch diente, ein altes deutsches Tintenfass aus Zinn, einen französischen Armstuhl aus dem XVII . Jahrhundert, venezianische Lederarbeiten, ein englisches Taschenmesser und süditalienische Vorhänge. All das kam auf geheimnisvollen Wegen, die zu verfolgen der Verstand nicht in der Lage ist, hierher, hier in meinem Zimmer zusammen, in rätselhafter Beziehung zueinander, kunterbunt und dennoch alles an seinem Platz, unbegreiflich und logisch. Die Welt ist wie ein Stillleben: klein und mit all ihren Einzelheiten vollgepfropft.
    TSCHECHOW
    Sämtliche Helden Tschechows kommen irgendwie im Gehrock, mit Kneifer, Bart daher und stehen so in einer Welt, die schon die Eisenbahn und die Diphterieschutzimpfung kennt, den Absolutismus verabscheut und sich heftig nach der Verfassungsmäßigkeit sehnt; sich aber doch am liebsten, wie die Gogolschen Helden, im Pferdeschlitten fortbewegt, die Damen ehrerbietig murmelnd grüßt und dabei unter dem Bart errötet. Diese Helden sind alle über fünfzig. Bürgerliche Helden. Ihre Empfindsamkeit ist lebensgefährlich, rein und unheilbar. Die Dame mit dem Hündchen und ihr Freund im Badeort auf der Krim, sie weinen zusammen nach dem Verführungsakt, dann essen sie gemeinsam Wassermelone. Auch beginnt es in diesen Novellen jeden Moment zu regnen, und die fleischigen Blätter der Platanen werden tropfnass. Die Helden im Kirschgarten entdecken im dramatischen Augenblick ihres Lebens, dass eine der Nebenfiguren einen Pferdekopf hat; und sie beginnen selbstvergessen, sich zu amüsieren.
    All das ist durchaus familiär, im tragischen Sinn des Wortes. Tschechow erweist sich als ein beängstigend familiärer Autor. Wie ein Onkel, der nach dem Nachtmahl auftritt, im Gehrock, brummelnd, eine kurze Zigarre schmauchend, der tarockiert und Anekdoten zum Besten gibt; doch kann es nicht schaden, wenn man
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