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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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Hoffnung gewesen sein, der mich noch einmal zum Telefon greifen und die Wahlwiederholungstaste drücken ließ. Einfach nur um zu sehen, welche Nummer zuletzt eingegeben worden war. So machten sie es doch immer in den Sonntagabendkrimis.
    Natürlich hatte ich es diesmal nicht klingeln lassen. Aber erst als ich hektisch die Verbindung beendete, wurde mir klar, was ich da gerade getan hatte. Mit Sicherheit konnte Chris auf seinem Display sehen, dass ich es mitten in der Nacht noch einmal versucht hatte. Dann hielt er mich nicht nur für eine verzweifelte Fast-Dreißigjährige mit mausgrauer Aura, sondern gleich für eine psychopathische Stalkerin. Na, danke schön.
    Ich war unter meine Bettdecke gekrochen und hatte gebetet, dass er ein steinaltes Retro-Modell benutzte. Am besten ein Mobiltelefon
aus den frühen Neunzigern, das man im Koffer mit sich herumtragen musste. Die hatten doch mit Sicherheit noch keine Nummernerkennung gehabt. Oder?
    Dabei wusste ich natürlich selbst, dass dieser fromme Wunsch niemals in Erfüllung gehen konnte. Und jetzt, acht Stunden später, dudelte tatsächlich mein Handy seine Signalmelodie.
    Gab es noch eine Möglichkeit, dass Chris mich zurückrief? Und wenn ja: Gab es weiterhin die Möglichkeit, dass das ein gutes Zeichen war? Wenigstens eine statistisch ganz kleine?
    Besser, ich hörte nie wieder von ihm. Ein Gespräch konnte nur peinlich sein. Mit sanfter Krankenpflegerstimme würde er mir mitteilen, dass es ihm leidtäte. Dass ich mir unrealistische Hoffnungen gemacht hatte. Ich kannte diese Sätze, ich hatte sie häufig genug gehört. Als hätten Männer in ihrem Kopf ebenfalls diese praktischen Funktionstasten mit Textbausteinen, um angehende Liebesgeschichten mit Würde zu beenden.
    Unter Bergers missbilligenden Blicken ließ ich es dudeln, bis die Mailbox ansprang, und warf erst dann einen vorsichtigen Blick auf das Display. Melli mobil.
    Das war ja noch mal gut gegangen.
    Oder auch nicht. Je nachdem.
    Ich streckte meine Arme über dem Kopf aus und ließ die Gelenke knacken. Dann stand ich auf, um mir in der Kaffeebar neben der Kantine ein Double Chocolate Cookie zu besorgen. Bei dem Stress, fand ich, hatte ich das verdient. Beim Liftfahren hörte ich Mellis Nachricht ab. Nichts Neues von Sivananda-Hauke Petersen, dafür ein langatmiger Bericht über Steves neue Zusatzausbildung zum Wärmedämmungsspezialisten. Und ob ich ihr vielleicht heute Abend die große TV-Reisereportage auf DVD aufzeichnen könne, »Spirituelles Indien«?
    Meine beste Freundin hatte wenigstens Prioritäten in ihrem Leben.
    Am Ende des Tages hatte ich alle aktuellen und ein paar verstaubte Beschwerdebriefe beantwortet, zwei Chocolate Cookies gegessen und online auf ein Paar Inline-Skates geboten. Bei 50,50 Euro war ich
ausgestiegen. Maßlos war ich in den letzten vierundzwanzig Stunden schon genug gewesen.
    Auf der Ebay-Startseite wurden Yogamatten und Gefäße inklusive Räucherstäbchen in fünf verschiedenen Duftnoten und eine Meditations-CD mit Planetentönen verscherbelt.
    Die hätte ich gern gehabt, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, was für Laute die Planeten so von sich gaben.
    Chris hatte jedenfalls nicht angerufen. Und nicht gemailt. Und keine SMS geschickt.
    Gott sei Dank. Verdammte Axt.

PASCHIMOTHANASANA
    Die Vorwärtsbeuge (Paschimothanasana) ist eine Stellung der Demut und Hingabe. Sie hilft, alte Lebensmuster und schädliche Energien loszulassen.

    Um kurz nach halb sieben betrat ich wieder meine Wohnung. Im Flur war es dunkel, nur ein einzelner Lichtstrahl aus Richtung Wohnzimmer fiel auf den Boden. Unter meinen Füßen raschelte etwas, und ich hob es auf. Ein Flyer, wahrscheinlich von einem Lieferservice für verzweifelte Singles. Da hatte wohl ein Bote seine Aufgabe besonders ernst genommen. Statt die Dinger in die Hausbriefkästen zu stopfen, hatte er sie unter den Türen durchgeschoben. Aber bei mir war er an der falschen Adresse.
    Von allen Dingen, die ungesund waren und dick machten, mochte ich fast alle.
    Außer Pizza.
    Ich wollte das Faltblatt schon zu meiner Altpapiertüte tragen, da sahen zwei sanfte Augen mich an.
    »Du schon wieder«, seufzte ich. Auf der Vorderseite des Blättchens saß ein gezeichneter Buddha und blickte mir ins Gesicht. Er war deutlich schlanker als Mellis Fensterbrett-Michelinmännchen und sah auch besser aus.
    »Da hast du aber Glück«, sagte ich, »indische Currys mag ich nämlich ganz gern.«
    Ich schlug das Faltblatt auf. Jetzt so eine
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