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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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Betriebsfest zu tanzen versucht hatte. Zuletzt hatte ich solche Bewegungen im Turnunterricht meiner Grundschule gesehen, da hieß die Übung »Hampelmann«. Doch da weder Lachen noch Weinen die richtige Reaktion auf Bergers Tanzkünste gewesen wäre, schaute ich mit einer Art Kopfnicken an ihm vorbei.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er noch immer die gleiche metallicblaue Brille auf seine Resthaare gesetzt hatte wie auf der Firmenparty. Vielleicht hatte Anna ja recht, und er hatte sie mittlerweile implantieren lassen.
    »Na denn prost«, murmelte ich, als ich den Stapel mit den Briefen auf meinem Schreibtisch erblickte. Als wären Montage nicht schlimm genug gewesen, kam an diesem Tag auch immer noch besonders viel Beschwerdepost. Denn donnerstags landeten die Flugzeuge aus den wichtigsten Urlaubsgebieten, von den Kanaren, Mallorca und der Costa Brava. Freitags, spätestens am Samstag, landeten dann die wütenden Schreiben mitsamt Beweisfotos im Briefkasten.
    Die E-Mails waren da noch gar nicht mitgerechnet.
    Samstag. Ich seufzte. Was hier vor mir lag, diese ganze Briefpost, war ausnahmslos geschrieben worden, bevor ich mein Leben ruiniert hatte.

    Ich griff wahllos in den Stapel und nahm mir einen Brief vor. Von Maik Hinterhuber aus Bayern. Bei dem Namen wäre ich auch zum Prozesshansel geworden. Ungerechtigkeit von Geburt an.
    Ein einziger, geübter Blick langte, um zu erfassen, worum es ging. »… waren gerade auf dem Weg zurück vom Strand«, las ich, »… zweijährige Tochter war ausgesprochen sandig.« Wie? Wollten die jetzt schon Geld zurück, weil Sandstrand an Kinderfüßen klebte? Sollten sie doch Urlaub im Allgäu machen! »… von 14.38 bis einschließlich 15.04 Uhr keine Wasserversorgung …« Ach so. Alles klar. Auf einer Insel ohne eigenes Grundwasser war für fünfundzwanzig Minuten nichts aus dem Hahn gekommen. Da konnte einem ja wirklich die Urlaubslaune vergehen.
    Sehr geehrter Herr Hinterhuber, dachte ich, Sie haben einen Hau. Und zwar einen amtlichen. Richten Sie Ihrer Gattin aus, dass man unter Zuhilfenahme eines handelsüblichen Handtuchs trockene Kinderfüße nahezu rückstandslos von Sandresten befreien kann. Sie bekommen von uns keinen müden Cent.
    Wie gut, dass es Textbausteine gab.
    »Sehr geehrter Herr Hinterhuber«, schrieb ich und drückte die Funktionstaste sechs. »Herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom TT.MM. dieses Jahres. Sunny Side Reisen nimmt Reklamationen sehr ernst, denn das ehrliche Feedback unserer Kunden hilft uns bei unserem Bemühen, unsere Leistung immer noch ein bisschen besser an Ihre Wünsche und Bedürfnisse anzupassen. Aus Kulanzgründen und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht schicken wir Ihnen anbei einen Scheck über …«
    Jetzt musste ich den Brief nur noch ausdrucken. Dabei stellte ich mir vor, wie ich Herrn Hinterhuber mit einer roten Kinderschaufel im Sand eingrub. Nicht nur von Kopf bis Fuß. Sondern all inclusive. Mit besonderem Vergnügen Mund und Nase.
    Beeindruckt von meinem eigenen frühmorgendlichen Fleiß lehnte ich mich im Bürostuhl zurück. Bevor ich ganz hinten angekommen war, hörte ich mein Handy, wie es in den Tiefen meiner Handtasche Musik machte. Ich erstarrte.
    Und dann kam der Gedanke mit dem großen C so breitbandmäßig
in mein Kleinhirn gerauscht, dass ich ihn nicht mehr verdrängen konnte.
    Ich hatte es wirklich getan. Gestern Abend, kurz vor Mitternacht. Chris war nicht ans Telefon gegangen. Aber seine Mailbox. Mit der hatte ich dann einen ganz entzückenden Plausch gehabt. Ich hatte ihr gesagt, dass es ein toller Abend gewesen sei. Mehr als das. Dass ich lange nichts mehr so Aufregendes erlebt habe. Dass ich immerzu daran denken würde. Dass ich beim Anblick von Yogapositionen auf unanständige Gedanken käme und was Chris von einem Wochenende in der Toskana hielte. Natürlich mit Sparangebot für Reisebüromitarbeiter, er wüsste schon, das stände alles im Intranet von Sunny Side.
    Und das war erst der Anfang gewesen.
    Kein Zweifel, ich hatte etwas Schreckliches getan. Gegen alle ungeschriebenen Gebote der Beziehungsanbahnung hatte ich krachend verstoßen.
    Und es kam noch schlimmer. Zwei Stunden nachdem ich etwas Schreckliches getan hatte, tat ich nämlich auch noch etwas Fürchterliches.
    Mitten in der Nacht war ich aufgewacht und hatte für einen kurzen, wahnwitzigen Augenblick gehofft, dass es nur ein intensiver Tagtraum gewesen war. Dass ich nicht wirklich bei Chris angerufen hatte. Es musste dieser letzte Zipfel
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