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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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eine esoterische Chai Kardamom Latte, sondern ein wolkiges
Espresso-Heißgetränk, wie ich es liebte. Danach aßen wir Schokostreusel auf Butterbrötchen. Wie zwei sehr ausgelassene Kinder in zwei sehr erwachsenen Körpern.
    Mann, war ich glücklich.
    Sogar das Sofa sah glücklich aus. Kein Wunder, es hatte ja auch was Schönes erlebt.
    Blöd nur, dass Chris irgendwann am Nachmittag ging. Das dürfte kein Mann tun: eine Frau mit ihren Gedanken einfach allein lassen. Mit diesen frischen Erinnerungen, den ausgegangenen Haaren auf dem Sofa, dem Geruch in den Kissen. Als wüssten sie nicht, dass wir dann geistig Amok laufen. Schon anfangen, das Telefon anzustarren, wenn gerade erst die Tür ins Schloss fällt.
    Um neun Uhr abends pickte ich gedankenverloren einen Schokostreusel von der Arbeitsplatte auf und gönnte mir ein winziges Glas Weißwein. Danach rief ich meine Mutter an. Ich dachte, sie könnte mich vielleicht etwas ablenken.
    »Gerade komme ich zur Tür rein«, keuchte sie in den Hörer, »ich war doch bei diesem Seminar. In Ostwestfalen.«
    Das war nichts Besonderes. Seit der Scheidung kam sie an jedem Sonntag von einem Seminar zurück. Kristalle, Handauflegen, die Innere Göttin entdecken. Diesmal hatte sie den Grundkurs Aura-Lesen besucht.
    »Es geht nicht nur darum, die Aura anderer Menschen zu entziffern«, dozierte sie in mein Ohr, »es geht auch darum, die eigene zu verändern. Wusstest du übrigens, welche Farbe meine Aura hat?«
    »So ein schlammiges Grüngrau?«, riet ich.
    »Lindgrün.« Die Stimme meiner Mutter hätte einen Vulkan schockgefrieren können. Während wir telefonierten, betrachtete ich mich im Flurspiegel und versuchte, meine eigene Aura zu erkennen. Sie fühlte sich schamrot an. Aus verschiedenen Gründen.
    »Ich muss dann mal«, verabschiedete ich mich nach einer Weile, »ich erwarte noch einen Anruf.«
    Das war die reine Wahrheit. Nur leider kam der Anruf nicht. Nicht um halb zehn, nicht um halb elf. Und dann würde er wohl auch nicht mehr kommen.

    Gegen elf hatte ich mein winziges Weinglas ein paar winzige Male nachgefüllt, zog auf dem Balkon an einer vereinsamten Zigarette, die ich auf dem Boden meiner Handtasche gefunden hatte, und aschte in einen Kronkorken, der noch von der letzten Party übrig geblieben sein musste. Ich rauchte nicht oft, aber es gab Momente, in denen passte der Geschmack einfach perfekt zum Leben. Genauso intensiv und genauso gesundheitsschädlich. Im Haus gegenüber brannte Licht hinter einem einzelnen Fenster, und ich konnte schemenhaft erkennen, wie ein Mann und eine Frau in der Küche saßen.
    Plötzlich musste ich daran denken, was Melli einmal über ihren Freund gesagt hatte. Dass es zu den schönsten Momenten gehörte, wenn sie nach einem langen Tag abends auf dem Weg nach Hause war und schon von Weitem das erleuchtete Fenster im Hochparterre sah. Dass dieses Fenster sie willkommen hieß, dass es so etwas war wie ein freundliches Auge in der Nacht, mit einem Menschen dahinter, der sie liebte.
    Da hatte ich zum ersten Mal verstehen können, was sie an Steve fand. Obwohl Melli doch eigentlich viel zu schade war für einen Mann, der aufblasbare Nackenkissen für ein romantisches Geburtstagsgeschenk hielt und seit vier Jahren jedes Mal die gleiche Pizza beim Bringdienst bestellte.
    Zu allem Überfluss auch noch die mit Hackfleisch und extra Zwiebeln.
    Also gut. Bei meiner Abneigung gegen Steve mochte es auch eine Rolle spielen, dass er mich für eine übergeschnappte Intellektuelle hielt. Nur weil ich in seiner Gegenwart mal das Wort Fauxpas verwendet hatte. »Foh Pah?«, hatte er gefragt. »Um dich zu verstehen, braucht man ja ein Lexikon.«
    Zu seinem nächsten Geburtstag hatte ich ihm einen Volks-Brock-haus geschenkt. Das hatte nicht geholfen.
    Egal. Wahrscheinlich hatte er Qualitäten, von denen ich nichts ahnte. Melli musste schließlich wissen, was sie tat.
    Ich dachte noch eine Weile über Melli und Steve nach und war plötzlich ein bisschen neidisch.
    Danach trank ich noch ein Glas.

    Und noch eins, weil der Rest in der Flasche mir fast so leidtat wie mein blaues Sofa, das jetzt nackig im Wohnzimmer stand und schon viel weniger glücklich aussah als noch vor ein paar Stunden.
    Und dann tat ich es. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Ich zog die Visitenkarte aus der Brieftasche. Chris Müller-Nolten, Sunny Side Reisen, Abteilung Großkunden und Firmendienst, Außenstelle. Darunter die Adresse seiner Filiale. Büroanschluss, E-Mail,
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