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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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ich mit dem Auto unterwegs und hörte auf der Fahrt sämtliche vierzehn Tracks von The Sound of Didgeridoo . Ein früherer Freund hatte mir die CD einmal geschenkt und etwas von spiritueller Qualität gemurmelt. Ich hatte ihn schon damals im Verdacht gehabt, dass er sie nur zufällig vom Wühltisch gezogen hatte. Oder dass seine Mutter ähnliche Dinge verschenkte wie meine eigene. Aber auf der Fahrt zur ersten Yogastunde musste schließlich angemessene Musik laufen. Und nicht gerade Lady Gaga.

    Irgendwo hatte ich gelesen, dass Yogis durch ihre ganzheitliche Lebensweise um mindestens zehn Jahre ihrem biologischen Alter hinterherhinkten. Als ich den großen Saal des Yogazentrums betrat, wusste ich auch, warum.
    Auf einen Schlag fühlte ich mich wieder wie siebzehn.
    Wo man hinsah, lagen Leute auf dem Rücken, Arme und Beine gespreizt, manche von ihnen in Wolldecken gehüllt. So hatte es damals nach unseren Samstagabendpartys auch ausgesehen.
    Melli, Nadine und ich hatten oft zusammen in irgendwelchen Jugendzimmern auf Isomatten übernachtet, weil unsere Eltern keine Lust gehabt hatten, uns mitten in der Nacht in der Pampa abzuholen. Und ähnlich gerochen hatte es dort auch. Nach einer Mischung aus abgebrannten Räucherstäbchen, Deo und Schweiß. Mir wurde ganz heimelig zumute.
    Ich wollte mich gerade dazulegen, da betrat eine kleine, drahtige Blondine den Raum. Sie legte anmutig ihre Handflächen vor dem Körper zusammen und grüßte in alle Richtungen. Einige Leute standen auf, warfen die Decken von sich und erwiderten den Gruß. Jetzt war mir auch klar, woher der leichte Schweißgeruch kam: Die meisten von ihnen waren barfuß.
    Die Blondine warf einen Blick auf meine Turnschuhe.
    »Ich sehe, wir haben einen Gast?«, fragte sie. Sie war wirklich ungemein drahtig, und sie hatte schönere Oberarme als Michelle Obama.
    »Ich bin Nitya«, stellte sie sich vor, »und hier drinnen ziehen wir die Schuhe aus. Das ist wichtig für unsere Erdung.«
    Jetzt fühlte ich mich nicht mehr wie siebzehn, sondern eher wie fünf. So ähnlich hatte meine Kindergärtnerin auch immer geklungen. Wie hieß sie noch? Ach ja: Frau Rosenkötter. Vor allem dieses strenge »wir« hatte sie auch gern benutzt: Evke, wir essen erst ein Stück vom Rohkostteller, dann gibt es Pfannkuchen!
    Ich beugte mich über meine Schnürsenkel und überlegte kurz, Yoga ein für alle Mal an den Nagel zu hängen. Eigentlich war ich nämlich nicht der Typ Frau, der seine Füße sofort für jeden auszog. Erstens hatten sie einen eingebauten Schmutzmagneten, der rund ums Jahr meine Sohlen graubraun einfärbte. Waschen war zwar möglich,
aber zwecklos. Außerdem hatte ich Hornhaut auf den Fersen und kleine Zehen, gegen die der schiefe Turm von Pisa aussah wie das Empire State Building.
    Um mich herum wurde es unruhig. Beine wurden zum Lotossitz verknotet, Ellenbogen auf Knien abgelegt. Immerhin hatte Nitya am Rest meines Outfits nichts auszusetzen. Ich hatte ein lila Sweatshirt gewählt, und das mit Bedacht. Die Farbe war schließlich nicht nur modisch, sondern auch irgendwie spirituell. Schließlich hatte ich meine Schuhe abgestreift und stellte mit einer gewissen Erleichterung fest, dass meine Nachbarn auch keine schöneren Füße hatten als ich. Letztlich waren eben doch alle Menschen gleich.
    »Wir setzen uns im Lotossitz auf und legen die Hände ins Cin-Mudra, Daumen und Zeigefinger zusammen!«, sagte die drahtige Nitya.
    Wie bitte?
    Ich schielte zu meinen Nachbarn. Die setzten sich bereits in Pose. Sie erinnerten mich an den meditierenden Buddha auf dem Flyer, der gestern in meiner Wohnung gelandet war. Nur in unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichem Körperumfang. Die Position war nicht besonders kompliziert. Das schaffte ich gerade noch, auch wenn ich die Beine nicht ganz so elegant ineinander verknoten konnte.
    Unauffällig blickte ich mich weiter um. Bis auf den älteren Mann mit grauem Rauschebart und weißem Wallegewand auf der Matte neben mir wirkten sie alle ziemlich normal.
    »… und wir schließen die Augen!« Das klang streng und ging an meine Adresse. Wieder fiel mir Frau Rosenkötter ein: Evke! Brauchst du immer eine Extraeinladung?
    »Wir beginnen mit unserem Begrüßungsmantra.«
    Seit Jahren hatte ich nicht mehr an meine Kindergärtnerin gedacht und nun schon zum zweiten Mal innerhalb von fünf Minuten. Damals hatten wir morgens immer im Kreis gesessen und das Sonnenkäferlied gesungen.
    Falsch: Alle anderen hatten das Sonnenkäferlied
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