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Des Teufels Maskerade

Des Teufels Maskerade

Titel: Des Teufels Maskerade
Autoren: Schlederer Victoria
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PRESSBURG UND PRAG 4. BIS 9. JUNI 1909

    Preßburg, am 4. Juni 1909
     
    Meine teure Esther,
    vergib mir, dass meine Antwort auf Deinen letzten, bezaubernden Brief so lange auf sich warten ließ. Dejan, Mirko (den ich heute durch mein Diktat zum Mitwisser mache, da Dejan gegenwärtig im Dienst unseres höchst sonderbaren Auftraggebers unterwegs ist) und ich haben vor einigen Tagen recht überstürzt nach Preßburg reisen müssen: Ein gewisser Graf Mahler hat uns engagiert, die angeblich skandalösen Liebeleien seiner jungen Gemahlin zu beweisen. Nach Tagen intensiver Recherchen steht nun fest, dass besagte Dame unschuldiger ist als ein Lämmchen – jeder Erbauungsroman liest sich pikanter denn ihre Korrespondenz.
    Unglücklicherweise haben der Graf und Dejan ausgehandelt, dass wir unsere Gage nur erhalten, wenn es uns tatsächlich gelingt, einen Fehltritt nachzuweisen. In Konsequenz dieser hirnrissigen Abmachung (zu der selbstredend weder Mirko noch ich hinzugezogen wurden), verbringt Dejan nun unproportional viel Zeit damit, der arglosen kleinen Comtesse schöne Augen zu machen. Er hat es nicht anders gewollt.
    Ansonsten regnet es seit Tagen fürchterlich; soeben haben wir einen Vormittag damit zugebracht, uns beim Kartenspiel in unserer Herberge zu langweilen. (Welche unsinnigerweise den schönen Namen »Zum Goldenen Gardisten« trägt. Ich bat Mirko gestern, sich bei dem Wirt nach dem Ursprung jener befremdlichen Benennung zu erkundigen, doch dieser hatte das Gasthaus erst vor wenigen Monaten übernommen und konnte sich keinen Reim auf die Namensgebung seines Vorgängers machen.)
    Ferner versuchen Mirko und ich, Dejans Launen zu ertragen. Unser alter Freund befindet sich in letzter Zeit in denkwürdig trüber Stimmung  – derart gereizt habe ich ihn nicht mehr erlebt seit den Wochen nach seinem Unfall letztes Jahr. Besonders unerträglich gab er sich vorgestern, als wir auf dem »entsetzlichen« Marktplatz auf den
Vagabunden warteten, der uns durch einen nächtlichen Spaziergang über die Dächer ein paar Briefe aus dem Sekretär der Gräfin Mahler beschafft hatte.
    Während ich alle Mühe hatte, mich in dem Gedränge vor den Rädern diverser Karren und dem groben Schuhwerk der Marktleute zu retten, der Gestank von halbverdorbenem Gemüse und Fleisch mir grässliche Übelkeit bereitete und ich mich ferner quälte, das dialektbehaftete Idiom der hiesigen Bevölkerung zu verstehen, hielt Dejan mir jenen bewussten Vortrag, den er in diesen Situationen zu halten pflegt.
    »Schmiedet denn niemand mehr groß angelegte Ränke?«, fragte er mit tiefer Bitterkeit in der Stimme. »Kaum fährt die feine Gesellschaft in die Sommerfrische, werden wir zu Laufburschen in zweitklassigen Liebeskabalen degradiert. Das ist meine letzte Saison, das schwöre ich dir, bei allem was mir heilig ist. Nächsten Frühling setzen wir uns nach Paris ab, genießen im Kreis der Boheme das sorglose Leben.«
    Bei dieser hochtrabenden Rede konnte ich nicht umhin, mir ein leises Lächeln zu gestatten – wie oft hatte er mir bereits in überzeugendster Manier geschworen, dass dieser Tag unwiderruflich der allerletzte sein würde, an dem er Talent und Spürsinn vergeudete als Detektiv im Dienst der Oberschicht.
    Und dennoch: Die Tage, an denen Dejan seinen Beruf, nein, vielmehr seine Berufung verflucht, haben sich in letzter Zeit merklich gehäuft. Ein Umstand, der vermutlich in engem Kontext zu seinem 39. Geburtstag steht, den er letzte Woche wenig feierlich begangen hat. Ich bin mir sicher, Du hast ihn vergessen, meine schöne Esther, und ich bitte Dich inständig, ihn nicht weiter zu erwähnen. Dejan reagiert gegenwärtig recht brüsk, wenn jemand ihn an die Tatsache erinnert, dass er sich mit großen Schritten der ungeliebten Vierzig nähert, und ich fürchte, auch Du bist augenblicklich nicht vor seinem Zorne gefeit. Als er letzte Woche ein ungekanntes graues Haar entdeckte, warf er doch tatsächlich eine Teekanne aus Meissner
Porzellan aus dem Fenster unserer Wohnung. Du kannst Dir sicherlich die Befremdung der Nachbarn vorstellen.
    Kurz, der Müßiggang bekommt ihm von uns allen am wenigsten. Mirko gibt sich recht pflegeleicht, insgeheim ist er wohl dazu geboren zu privatisieren, und seine Bewunderung gegenüber Dejan ermöglicht es ihm, mühelos über die Launen und Fehler seines Herrn und Meisters hinwegzusehen. (Wenn Du diesen letzten Satz liest, sei Dir bewusst, dass ihm eine exakt neunminütige Diskussion vorangegangen war, in der
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