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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary
Autoren: Woelffe
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uns.«
    Während sie aufs Ablegen
warten, fragen sie ihn, wie alt er sei. Er sagt: achtzehn, aber sie lachen und
sagen: Kind, das bist du nie. Er bietet ihnen fünfzehn Jahre an, sie beraten
sich und beschließen, dass fünfzehn in Ordnung geht; sie glauben, dass er
jünger ist, wollen ihn aber nicht beschämen. Sie fragen, was mit seinem Gesicht
passiert ist. Er könnte verschiedene Dinge erzählen, aber er entscheidet sich
für die Wahrheit. Er möchte nicht, dass sie denken, er sei ein gescheiterter
Dieb. Sie besprechen die Sache, und derjenige, der übersetzen kann, wendet sich
an ihn: »Wir meinen, dass die Engländer grausam zu ihren Kindern sind. Und
kaltherzig. Das Kind muss aufstehen, wenn sein Vater in den Raum kommt. Immer
soll das Kind ganz korrekt sagen: >Mein Vater, Sir< und »Madam, meine Mutter.«
    Er ist erstaunt. Gibt es
Menschen auf der Welt, die ihre Kinder nicht grausam behandeln? Zum ersten Mal
hebt sich die Last auf seiner Brust ein wenig; er denkt, es könnte andere Orte
geben, bessere. Er spricht; er erzählt ihnen von Bella, sie schauen mitleidig
und sagen nichts Dummes wie: Du kannst doch einen anderen Hund haben. Er
erzählt ihnen vom Pegasus und vom Brauhaus seines Vaters und dass Walter mindestens
zweimal pro Jahr eine Geldstrafe für schlechtes Bier bekommt. Er erzählt ihnen,
dass er auch Geldstrafen für den Diebstahl von Holz bekommt, weil er die Bäume
anderer Leute fällt, und von den zu vielen Schafen, die er auf dem Anger grasen
lässt. Das interessiert sie; sie zeigen ihm die Wollmuster und diskutieren ihr
Gewicht und die Webart, wenden sich von Zeit zu Zeit an ihn, um ihn ins
Gespräch einzubeziehen und ihm etwas beizubringen. Im Allgemeinen halten sie
nicht allzu viel von den fertigen englischen Stoffen, obwohl diese Muster ihre
Einstellung ändern könnten ... Er verliert den Faden, als sie versuchen zu
erklären, warum sie nach Calais reisen, und über verschiedene Leute sprechen,
die sie dort kennen.
    Er erzählt ihnen von der
Schmiede seines Vaters, und derjenige, der Englisch spricht, fragt
interessiert: Kannst du ein Hufeisen herstellen? Er zeigt ihnen pantomimisch,
wie das ist: heißes Metall und ein übellauniger Vater auf engem Raum. Sie
lachen; sie mögen es, wenn er eine Geschichte erzählt. Er sei ein guter Redner,
sagt einer von ihnen. Bevor sie anlegen, wird der Schweigsamste von ihnen
aufstehen und eine seltsam formelle Rede halten; der eine wird dazu nicken,
und der andere wird sie übersetzen. »Wir sind drei Brüder. Das ist unsere
Straße. Wenn du je in unsere Stadt kommst, gibt es dort ein Bett und ein Feuer
und Essen für dich.«
    Lebt wohl, wird er zu ihnen
sagen. Lebt wohl und viel Glück im Leben. Hwyl, Tuchhändler. Gofalwch eich busnes. Er wird nicht rasten, bis er
auf einen Krieg stößt.
    Das Wetter ist kalt, aber die
See ist ruhig. Kat hat ihm ein geweihtes Amulett gegeben. Er hat es sich mit
einer Schnur um den Hals gehängt. Kalt liegt es auf der Haut an seiner Kehle.
Er entknotet die Schnur. Er berührt das Amulett mit den Lippen, das soll ihm
Glück bringen. Er lässt es fallen; es gleitet ins Wasser. Er wird sich an den
ersten Anblick der offenen See erinnern: eine graue, zerknitterte Weite wie das
Überbleibsel eines Traums.
     
    Vaterschaft
    1527
     
    Nun also: Stephen Gardiner.
Kommt heraus, als er hineingeht. Es ist nass und für eine Nacht im April
ungewöhnlich warm, aber Gardiner trägt Pelze, die wie glänzende, dichte
schwarze Federn wirken; jetzt steht er da und plustert sie auf, rafft die
Kleider um seine große, aufrechte Gestalt wie schwarze Engelsflügel.
    »Spät dran«, sagt Master
Stephen unfreundlich.
    Er ist ungerührt. »Ich oder
Ihre werte Person?«
    »Sie.« Er wartet.
    »Betrunkene auf dem Fluss. Das
Fest zu Ehren einer ihrer Schutzheiligen, sagen die Bootsführer.«
    »Haben Sie zu ihr gebetet?«
    »Ich bete zu jedem, Stephen,
bis ich wieder festen Boden unter den Füßen habe.«
    »Es überrascht mich, dass Sie
nicht selbst zum Ruder gegriffen haben. Als  Junge haben Sie doch bestimmt auf
dem Fluss gearbeitet.«
    Stephen spielt immer auf
dasselbe an. Dein Halunke von Vater. Deine niedrige Geburt. Stephen ist
angeblich so etwas wie ein halbköniglicher Bastard: gegen Bezahlung diskret
aufgezogen, als eigenes Kind von diskreten Leuten in einer kleinen Stadt;
Wollhändler, die Master Stephen verabscheut und vergessen möchte; und da er
selbst jeden im Wollhandel kennt, weiß er mehr über Stephens Vergangenheit,
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