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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary
Autoren: Woelffe
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geben, Renten, Entschädigungen. Es kann verhandelt werden, mit
gutem Willen beiderseits. Beugt euch dem Unvermeidlichen, drängt er. Respekt
vor dem Lordkardinal. Bedenkt seine umsichtige und väterliche Sorge; glaubt
mir, dass sein scharfer Blick auf das größte Wohl der Kirche gerichtet ist. Das
sind die Wendungen, mit denen man verhandelt. Armut, Keuschheit und Gehorsam
werden angesprochen, wenn man einem senilen Prior sagt, was er tun soll. »Sie
missverstehen es nicht«, sagt er. »Sie wollen nur die Einkünfte haben.«
    »Sie werden eine bewaffnete
Wache mitnehmen müssen, wenn Sie das nächste Mal in den Norden gehen.«
    Der Kardinal, der über die
endgültige Bestimmung eines Christen nachdenkt, hat sein Grabmal bereits von
einem Bildhauer aus Florenz entwerfen lassen. Seine Leiche wird unter den
ausgebreiteten Flügeln eines Engels in einem Sarkophag aus Porphyr liegen. Der
geäderte Stein wird sein Denkmal sein, wenn der Einbalsamierer das Blut aus
seinen Adern lässt; wenn seine Glieder so hart sind wie Marmor, werden seine
Tugenden mit einer goldenen Inschrift hervorgehoben. Aber die Colleges sollen
sein atmendes Denkmal werden, sie sollen, lange nachdem er gegangen ist,
arbeiten und leben: Arme Jungen, arme Gelehrte werden den Witz des Kardinals,
seinen Sinn für Ehrfurcht und Schönheit, seinen Instinkt für Anstand und
Freude, seine Finesse in die Welt tragen. Kein Wunder, dass er den Kopf
schüttelt. Normalerweise muss man einem Rechtsanwalt keine bewaffnete Wache
mitgeben. Der Kardinal hasst jegliche Demonstration von Stärke. Das wäre nicht
subtil genug. Manchmal kommt einer seiner Leute zu ihm - sagen wir mal Stephen
Gardiner -, um ein Nest von Häretikern in der City of London zu entlarven. Ernsthaft sagt
er dann: die armen ahnungslosen Seelen. Sie beten für sie, Stephen, und ich
bete für sie, und dann sehen wir ja, ob wir sie nicht mit vereinter Kraft zur
Vernunft bringen können. Und sagen Sie ihnen, sie sollen sich bessern, sonst
bekommt Thomas More sie in die Finger und schließt sie in seinem Keller ein.
Und dann hören wir bloß noch ihre Schreie.
    »Nun, Thomas.« Er sieht auf.
»Sprechen Sie eigentlich Spanisch?«
    »Ein wenig. Aus dem Bereich
des Militärs, wissen Sie. Holprig.«
    »Ich dachte, Sie haben in den
spanischen Armeen gedient.«
    »Bei den Franzosen.«
    »Ach so. Und gab es keine
Verbrüderung?«
    »Nicht über einen gewissen
Punkt hinaus. Ich kann Leute auf Kastilisch beleidigen.«
    »Das werde ich mir merken«,
sagt der Kardinal. »Ihre Zeit kommt vielleicht noch. Im Augenblick ich habe mir
überlegt, dass es gut wäre, mehr Freunde im Haushalt der Königin zu haben.«
    Spione, meint er. Um zu
erfahren, wie sie die Nachricht aufnehmen wird. Um zu erfahren, was Königin
Katherine in ihren privaten Gemächern sagen wird, wenn sie nicht mehr an der
Leine liegt und sich von der Schlinge des diplomatischen Lateins befreit hat,
in dem ihr mitgeteilt werden wird, dass der König - nachdem sie fast zwanzig
Jahre miteinander verbracht haben - eine andere Dame heiraten möchte. Irgendeine
Dame. Irgendeine einflussreiche Prinzessin, von der er glaubt, dass sie ihm
einen Sohn schenken kann.
    Das Kinn des Kardinals ruht in
seiner Hand; mit Zeigefinger und Daumen reibt er sich die Augen. »Der König hat
mich heute Morgen aufgesucht«, sagt er, »außergewöhnlich früh.«
    »Was wollte er?«
    »Mitleid. Und das zu so früher
Stunde. Ich habe eine Frühmesse mit ihm gehört, und er hat die ganze Zeit über
geredet. Ich liebe den König. Gott weiß, wie sehr ich ihn liebe. Aber manchmal
wird meine Fähigkeit zur Anteilnahme etwas überstrapaziert.« Er hebt sein
Glas, schaut über den Rand. »Sie müssen sich das ausmalen, Tom. Sie müssen
sich das vorstellen. Sie sind ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Sie
haben eine gute Gesundheit und einen gesunden Appetit, Sie haben jeden Tag
Stuhlgang, Ihre Gelenke sind geschmeidig, Ihre Knochen stützen Sie, und darüber
hinaus sind Sie König von England. Aber.« Er schüttelt den Kopf. »Aber! Wenn er
nur etwas Einfaches wollte. Den Stein der Weisen. Einen Zaubertrank für ewige
Jugend. Eine dieser Truhen voller Goldstücke, die in Märchen vorkommen.«
    »Und wenn man ein paar
herausnimmt, füllt sie sich von selbst wieder auf?«
    »Genau. Nun, ich mache mir
Hoffnungen auf die Goldtruhe und den Zaubertrank und alles andere. Aber wo soll
ich anfangen, nach einem Sohn zu suchen, der sein Land nach ihm regiert?«
    Hinter dem Kardinal
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