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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary
Autoren: Woelffe
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bewegt
sich König Salomon ein wenig im Luftzug, er verbeugt sich, sein Gesicht liegt
im Dunkeln. Die Königin von Saba - lächelnd, leichtfüßig - erinnert ihn an die
junge Witwe, bei der er gewohnt hat, als er in Antwerpen war. Sie teilten das
Bett, hätte er sie also heiraten sollen? Um die Ehre zu bewahren, ja. Aber wenn
er Anselma geheiratet hätte, hätte er Liz nicht heiraten können; und er hätte
andere Kinder als die, die er jetzt hat.
    »Wenn Sie keinen Sohn für ihn
finden können«, sagt er, »müssen Sie eine Stelle aus der Heiligen Schrift für
ihn finden. Um ihn zu beruhigen.«
    Der Kardinal scheint danach zu
suchen, auf seinem Schreibtisch. »Nun, das Fünfte Buch Mose. Es empfiehlt
eindeutig, dass ein Mann die Frau seines verstorbenen Bruders heiraten soll.
Wie er es getan hat.« Der Kardinal seufzt. »Aber er mag das Fünfte Buch Mose
nicht.«
    Überflüssig zu fragen: warum
nicht? Überflüssig zu erwähnen: Wenn das Fünfte Buch Mose dir befiehlt, die
Witwe deines Bruders zu heiraten, und das Dritte Buch Mose sagt, tu es nicht
oder du hast keine Nachkommen, sollte man versuchen, mit dem Widerspruch zu
leben, und akzeptieren, dass die Frage, welches Buch Priorität hat, vor zwanzig
Jahren in Rom gegen eine saftige Gebühr von führenden Prälaten ausdiskutiert
wurde, sodass die Dispens erteilt und mit dem päpstlichen Siegel überbracht
werden konnte.
    »Ich verstehe nicht, warum er
sich das Dritte Buch Mose so zu Herzen nimmt. Er hat eine Tochter, die am Leben
ist.«
    »Ich denke, dass man in der
Schrift grundsätzlich davon ausgehen kann, dass >Kinder< >Söhne<
bedeutet.«
    Der Kardinal bezieht sich bei
seiner Auslegung des Textes auf das Hebräische; seine Stimme ist sanft,
beruhigend. Er liebt es zu unterrichten, wo ein Wille ist, unterrichtet zu
werden. Sie kennen sich jetzt seit einigen Jahren, und obwohl die Hierarchie
klar ist, ist die Formalität zwischen ihnen geschwunden. »Ich habe einen
Sohn«, sagt er. »Sie wissen das natürlich. Gott vergebe mir. Eine Schwäche des
Fleisches.«
    Der Sohn des Kardinals -
Thomas Winter, wie er genannt wird - scheint zur Gelehrsamkeit und einem
ruhigen Leben zu neigen, wobei sein Vater vielleicht andere Vorstellungen hat.
Der Kardinal hat auch eine Tochter, ein junges Mädchen, das nie jemand zu
Gesicht bekommen hat. Ziemlich unverblümt hat er sie Dorothea genannt, das Geschenk
Gottes; sie ist bereits in ein Kloster gegeben worden, wo sie vermutlich für
ihre Eltern betet.
    »Und Sie haben einen Sohn«,
sagt der Kardinal. »Oder sollte ich sagen: Sie haben einen Sohn, dem Sie Ihren
Namen geben. Ich vermute mal, es gibt noch ein paar mehr, die am Ufer der
Themse herumlaufen, von denen Sie nichts wissen?«
    »Ich hoffe nicht. Ich war noch
nicht einmal fünfzehn, als ich weggelaufen bin.«
    Es amüsiert Wolsey, dass er
sein genaues Alter nicht kennt. Der Kardinal blickt durch die Schichten der
Gesellschaft hindurch auf eine Stufe weit unter seiner eigenen — als der mit
Rindfleisch aufgezogene Sohn eines Metzgers -, auf einen Ort, wo sein Diener
geboren wird: Der Tag ist unbekannt, die Herkunft obskur. Der Vater war
zweifellos betrunken bei der Geburt; die Muttet war mit anderen Dingen
beschäftigt, was nur verständlich ist. Kat hat ein Datum bestimmt; er ist ihr
dankbar dafür.
    »Nun ja, fünfzehn ...«, sagt
der Kardinal. »Aber mit fünfzehn konnten Sie's, nehme ich an? Ich weiß, dass
ich es konnte. Jetzt habe ich einen Sohn, jeder Bootsführer auf dem Fluss hat
einen Sohn, jeder Bettler auf der Straße hat einen Sohn, Ihre Möchtegern-Mörder
in Yorkshire haben zweifellos Söhne, die darauf eingeschworen werden, Sie in
der nächsten Generation zu verfolgen, und Sie selbst haben, wie wir
übereingekommen sind, einen ganzen Stamm von fluvialen Raufbolden gezeugt -
nur der König hat als Einziger keinen Sohn. Wer hat Schuld daran?«
    »Gott?«
    »Näher als Gott?«
    »Die Königin?«
    »Mit größerer Verantwortung für alles als die
Königin?« Er kann ein breites Lächeln nicht unterdrücken. »Sie selbst, Ihro
Gnaden.«
    »Ich selbst, Meine Gnaden. Was
soll ich dagegen unternehmen? Ich sage Ihnen, was ich tun könnte. Ich könnte
Master Stephen nach Rom schicken, um bei der Kurie vorzufühlen. Aber
andererseits brauche ich ihn hier...«
    Wolsey bemerkt seinen
Gesichtsausdruck und lacht. Rivalisierende Untergebene! Er weiß sehr genau,
dass beide mit ihrer Abstammung hadern und darum wetteifern, sein Lieblingssohn
zu sein. »Was immer Sie von
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