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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Journalisten, bis er eines Tages in einem Wochenmagazin stand, mit einem Bild sogar und einer Unterschrift: Heinrich, der Schütze.
    Er klagte gegen die Redaktion, er verfaßte wehrkritische Artikel, mit denen er hausieren ging, er sammelte Bekanntschaften im Bundeshaus, wie andere Briefmarken … ja, sogar die Technik war die gleiche, denn er tauschte die Bekanntschaften aus, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten oder Nieten waren. Kurzum: Er nahm regen Anteil am Aufbau der deutschen Demokratie und reihte sich ein in die Legion der Lobbyisten. In ihrer Phalanx marschiert er gegen alles, was den Aufbau störte, was seinen Socken, Unterhemden und Oberhemden gefährlich werden konnte, was vor allem dem neuen Wehrgedanken schaden konnte, sei es durch Kritik oder gar gefährliche Reminiszenzen.
    Was er nie nötig gehabt hatte, war jetzt Notwendigkeit geworden: Jedes Jahr fuhr Heinrich Emanuel Schütze zur Kur nach Bad Wörishofen. Er mußte seine Nerven ausruhen lassen, seinen kribbelnden Kreislauf stabilisieren, seine Nervosität dämpfen. Außerdem traf man im Bad, beim morgendlichen Tautreten oder bei Wadengüssen einige einflußreiche Herren wieder. So wurden auch an der Diättafel bei geschabten Möhren und Erdnußmajonäse neue Abschlüsse getätigt und enge Bande geknüpft.
    Amelia sah diese Entwicklung mit Schrecken, aber sie war machtlos gegen den Sog, in den Heinrich Emanuel geraten war. Die Bankkonten wuchsen, es wurde neu gebaut, man mußte Parties geben und Parties besuchen.
    Eines Tages setzte sich Schütze seiner Amelia gegenüber in den Sessel und steckte sich umständlich eine Zigarre an. Amelia kannte das. Es war das Vorzeichen einer wichtigen Eröffnung. Einem Taifun geht eine Windstille voraus … wenn Schütze seine Zigarre ansteckte wie ein heiliges Räucherstäbchen, lag etwas in der Luft.
    »Nun?« fragte sie, die Stille überbrückend.
    »Ich habe uns angemeldet, Liebes«, sagte Schütze schlicht.
    »Angemeldet? Wo?«
    »Zu einem ganz privaten Abendkursus. Bei einem Tanzlehrer. Er kommt zu uns ins Haus. Zweimal wöchentlich.«
    »Bei einem … Bis du verrückt, Heinrich?!« Amelia warf die Frauenzeitschrift, in der sie gelesen hatte, zur Seite. »Du alter Knochen willst noch tanzen lernen? Wer hat dir denn diesen Blödsinn wieder eingeredet?«
    »Niemand. Ich brauche keine Einflüsterer für meine Entscheidungen.« Schütze sah auf die weiß abbrennende Zigarrenspitze. »Es hat sich bei den Parties gezeigt, daß wir zurückhinken. Alles tanzt Samba, Cha-cha-cha, Rumba, Tango oder Paso doble … nur wir sitzen immer herum wie die Mumien. Das fällt schon auf. Was soll man von uns denken? Wir müssen mitgehen, Amelia. Beim nächsten Bundespresseball müssen wir einen Cha-cha-cha können. Mit dem Aufstieg in bestimmte Kreise ergibt sich für uns die Notwendigkeit, einen Grad der Erziehung nachzuholen. Früher bin ich marschiert … warum soll ich jetzt nicht tanzen?«
    Es war unmöglich, Schütze diesen Tanzkurs auszureden. Amelia beugte sich auch hier.
    Der Tanzlehrer kam, mit einem Tonbandgerät und einigen Bändern heißer Rhythmen. Die ersten beiden Doppelstunden überstand Heinrich Emanuel wie ein Hochofenarbeiter schwitzend. Er bekam einen Wadenkrampf und mußte massiert werden. Dann versagte sein Herz bei einer feurigen Drehung, er wurde krebsrot im Gesicht und schwankte im Arm der sich viel besser haltenden Amelia.
    »Das ist nur die Umgewöhnung«, versicherte Schütze und sah zu, wie Amelia im Arm des Tanzlehrers einen Paso doble tanzte. Ihr machte es auf einmal Spaß … sie schwebte über das Parkett und hatte wieder glänzende, große Augen. Wie damals, 1913 in Trottowitz, wo der Fähnrich Schütze im Gasthaus einen Walzer mit der kleinen v. Perritz hinlegte und bei einer Drehung klopfenden Herzen ihre schlanken Fußknöchel sah.
    Es ging wirklich bald besser. Auch Schütze begriff die neuen Rhythmen. Aber nicht durch den Tanzlehrer oder Amelia, sondern in Nachhilfestunden bei seiner englischen Schwiegertochter Ellen.
    Er erreichte den Höhepunkt, als er beim Presseball tatsächlich mit der Gattin eines Ministers einen Tango tanzte und sich sagen ließ: »Herr Schütze, Sie sind ja ein wunderbar leichtfüßiger Tänzer …«
    In das Haus der Schützes zog mit dem Anstieg der Prosperität ein anderer Lebensrhythmus ein. Nicht nur tänzerisch … man hatte plötzlich gar keine Zeit mehr. Man mußte nach Bayreuth fahren und sieben Tage lang täglich sechs Stunden Wagner hören, weil es zum
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