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Malina

Malina

Titel: Malina
Autoren: Ingeborg Bachmann
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die Tür aufgeht, und dieses Gefühl von Nachhausekommen, das überschwemmt mich in der Gischt des Verkehrs und der Menschen schon in einem Umkreis von hundert, zweihundert Metern, in dem alles mir mein Haus ankündigt, dasnicht mein Haus ist, sondern natürlich einer A. G. gehört oder irgendeiner Spekulantenbande, die dieses Haus wiederaufgebaut hat, zusammengeflickt vielmehr, aber darüber weiß ich so gut wie nichts, denn in den Reparaturjahren habe ich zehn Minuten entfernt gewohnt, und die längste Zeit ging ich an der Nummer 26, die lange auch meine Glücksnummer war, bedrückt und schuldbewußt vorüber, wie ein Hund, der seinen Herrn gewechselt hat, seinen alten wiedersieht und nun nicht weiß, wem er mehr Anhänglichkeit schuldet. Aber heute gehe ich an der Beatrixgasse 26 vorbei, als wäre da nie etwas gewesen, beinahe nichts, oder ja, es war einmal an dieser Stelle, ein Duft aus alter Zeit, er ist nicht mehr zu spüren.
    Meine Beziehung zu Malina hat jahrelang aus mißlichen Begegnungen, den größten Mißverständnissen und einigen dummen Phantastereien bestanden – ich will damit sagen, aus viel größeren Mißverständnissen als die zu anderen Menschen. Ich war allerdings von Anfang an unter ihn gestellt, und ich muß früh gewußt haben, daß er mir zum Verhängnis werden müsse, daß Malinas Platz schon von Malina besetzt war, ehe er sich in meinem Leben einstellte. Es ist mir nur erspart worden, oder ich habe es mir aufgespart, zu früh mit ihm zusammenzukommen. Denn schon an der Straßenbahnhaltestelle E 2, H 2, am Stadtpark, fehlte nicht viel einmal, und es hätte angefangen. Dort stand Malina mit einer Zeitung in der Hand, und ich tat, als bemerkte ich ihn nicht, und starrte über den Rand meiner Zeitung unentwegt zu ihm hinüber und konnte nicht herausfinden, ob er wirklich in seine Zeitung so vertieft war oder merkte, daß ich ihn fixierte, hypnotisierte, ihn zum Aufschauen zwingen wollte. Ich, und Malina zwingen! Ich dachte mir, wenn der E 2 zuerst kommt, dann wird alles gut, wenn nur, um Himmels willen, nicht der unsympathische H 2 oder gar der seltenere G 2 zuerst kommen, und dann kam wirklich der E 2, aber als ich aufgesprungen war auf den zweiten Wagen, verschwand Malina, aber nicht im ersten Wagen, nicht in meinem, und zurückgeblieben war er auch nicht. Er konnte nur plötzlich in die Stadtbahnstation hineingelaufen sein, als ich mich umdrehen mußte, in Luft aufgelöst haben konnte er sich doch nicht. Weil ich keine Erklärung fand, nach ihm suchte und ausschaute und auch keinen Grund wußte für sein und für mein Verhalten, hatte es der ganze Tag in sich gehabt. Aber das liegt weit zurück in der Vergangenheit, und es ist nicht mehr genug Zeit, darüber heute zu reden. Jahre später ist es mir mit ihm noch einmal so ergangen, in einem Vortragssaal in München. Er stand auf einmal neben mir, ging dann einpaar Schritte vor, zwischen drängelnden Studenten, suchte einen Platz, ging zurück, und ich hörte, vor Aufregung am Ohnmächtigwerden, einen eineinhalbstündigen Vortrag an, ›Die Kunst im Zeitalter der Technik‹, und ich suchte und suchte in dieser zum Stillsitzen und zur Ergriffenheit verurteilten Masse nach Malina. Daß ich mich weder an die Kunst noch an die Technik noch an dieses Zeitalter halten wollte, mich mit keinem der öffentlich abgehandelten Zusammenhänge, Themen, Probleme je beschäftigen würde, wurde mir spätestens an diesem Abend klar, und gewiß war mir, daß ich Malina wollte und daß alles, was ich wissen wollte, von ihm kommen mußte. Am Ende klatschte ich mit den anderen ausgiebig, zwei Leute aus München führten und dirigierten mich nach hinten aus dem Saal hinaus, einer hielt mich am Arm, einer redete klug auf mich ein, Dritte redeten mich an, und ich sah zu Malina hinüber, der auch zum Ausgang nach hinten wollte, aber langsam, und so konnte ich schneller sein, und ich tat das Unmögliche, ich stieß ihn an, als hätte man mich gegen ihn gestoßen, als fiele ich gegen ihn, und ich fiel ja wirklich auf ihn zu. So konnte er nicht anders, er mußte mich bemerken, aber ich bin nicht sicher, daß er mich wirklich gesehen hat, doch damals hörte ich zum erstenmal seine Stimme, ruhig, korrekt, auf einem Ton: Verzeihung.
    Darauf fand ich keine Antwort, denn das hatte nochnie jemand zu mir gesagt, und ich war nicht sicher, ob er mich um Verzeihung bat oder mir verzieh, die Tränen kamen so schnell in meine Augen, daß ich ihm nicht mehr nachsehen konnte,
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