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Malina

Malina

Titel: Malina
Autoren: Ingeborg Bachmann
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nichts mehr, ich muß nur die unterste Lade, die klemmt und so schwer zu öffnen ist, aus dem Sekretär ziehen. Damit Malina nicht merkt, für welchen Platz ich mich entschieden habe, darf ich kein Geräusch machen, aber nun geht die Spagatschleife auf, die Briefe rutschen durcheinander, ich binde sie ungeschickt wieder zusammen, zwänge sie in einen Spalt der Lade, ziehe sie aber sofort wieder heraus, vor Furcht, die Briefe könnten schon verschwunden sein. Ich habe vergessen, auf das Packpapier etwas zu schreiben, falls diese Briefe doch einmal gefunden werden, von Fremden, nach einer Auktion, auf der mein Sekretär versteigert werden wird. Eine Wichtigkeit müßte hervorgehen aus wenigen Worten. Jetzt also noch wenige Worte:Es sind dies die einzigen Briefe ... diese Briefe sind die einzigen Briefe ... die Briefe, die mich erreicht haben ... Meine einzigen Briefe!
    Für die Einzigartigkeit von Ivans Briefen finde ich den Satz nicht, und ich muß es aufgeben, ehe ich hier überrascht werde. Die Lade klemmt. Mit meinem ganzen Gewicht, aber leise, drücke ich sie zu, schließe sie ab und stecke den Schlüssel in Malinas alten, um mich schlotternden Morgenmantel.
    Ich sitze Malina im Wohnzimmer gegenüber, er klappt das Buch zu und sieht mich fragend an.
    Bist du fertig?
    Ich nicke, denn ich bin fertig.
    Warum sitzt du dann hier herum, anstatt uns endlich einen Kaffee zu machen?
    Ich sehe Malina sanft an und ich denke, daß ich ihm jetzt etwas Entsetzliches sagen müßte, etwas, das uns für immer trennt und jedes weitere Wort zwischen uns unmöglich macht. Aber ich stehe auf und gehe langsam aus dem Zimmer, in der Tür drehe ich mich um und ich höre mich nicht etwas Entsetzliches, sondern etwas anderes sagen, cantabile und dolcissimo:
    Wie du willst. Ich koche sofort den Kaffee.
    Ich stehe vor dem Herd und warte, bis das Wasser zu kochen anfängt, ich fülle einige Löffel Kaffee in den Filter und denke und denke noch immer, ich habe einen Grad von Denkenmüssen erreicht, an dem Denken nicht mehr möglich ist, ich sinke in den Schultern ein, es wird mir so heiß, weil ich das Gesicht zu nahe an der Herdplatte habe. Nous allons à l’Esprit! Ich kann aber diesen Kaffee noch kochen. Wissen möchte ich nur, was Malina im Zimmer tut, was er über mich denkt, weil ich auch ein wenig über ihn nachdenke, obwohl mein Denken schon weit hinausgeht über ihn und über mich. Ich hantiere herum, wärme die Kaffeekanne vor und stelle die beiden kleinen Schalen aus Augartenporzellan auf das Tablett, sie stehen so unübersehbar vor mir, wie es unübersehbar sein müßte, daß ich hier stehe und noch denke.
    Es war einmal eine Prinzessin, es sind einmal die Ungarn heraufgeritten aus dem ins Unerforschbare reichenden weiten Land, es war einmal an der Donau und es zischelten die Weiden, es war einmal ein Strauß Türkenbund und ein schwarzer Mantel ... Mein Königreich, mein Ungargassenland, das ich gehalten habe mit meinen sterblichen Händen, mein herrliches Land, jetzt nicht mehr größer als meine Herdplatte, die zu glühen anfängt,während der Rest des Wassers durch diesen Filter tropft ... Ich muß aufpassen, daß ich mit dem Gesicht nicht auf die Herdplatte falle, mich selber verstümmle, verbrenne, denn Malina müßte sonst die Polizei und die Rettung anrufen, er müßte die Fahrlässigkeit eingestehen, ihm sei da eine Frau halb verbrannt. Ich richte mich auf, glühend im Gesicht von der rotglühenden Platte, auf der ich nachts so oft Fetzen von Papier angezündet habe, nicht etwa um etwas Geschriebenes zu verbrennen, sondern um Feuer zu bekommen für eine letzte und allerletzte Zigarette. Aber ich rauche ja nicht mehr, ich habe es mir heute abgewöhnt. Ich kann den Schalter noch auf 0 zurückstellen. Es war einmal, aber ich verbrenne nicht, halte mich gerade, der Kaffee ist fertig, der Deckel auf die Kanne getan. Ich bin fertig. Von einem Hoffenster herüber ist eine Musik zu hören, qu’il fait bon, fait bon. Meine Hände zittern nicht, ich trage das Tablett ins Zimmer, ich schenke gehorsam den Kaffee ein, wie immer, ich gebe in Malinas Schale zwei Löffel Zucker und keinen Zucker in meine. Ich setze mich Malina gegenüber, es ist totenstill, und wir trinken unseren Kaffee. Was hat Malina? Er dankt nicht, er lächelt nicht, er bricht das Schweigen nicht, er macht keine Vorschläge für den Abend. Es ist aber sein freier Tag, und er will nichts von mir.
    Ich sehe Malina unverwandt an, aber er sieht nicht auf. Ich stehe auf
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