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Mal Aria

Mal Aria

Titel: Mal Aria
Autoren: Carmen Stephan
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kritzelte, fragte sie schnell: »Kann es Malaria oder Gelbfieber sein?«
Gut!
    Er blickte von seinem Stück Papier auf, schaute sie mit geübter Freundlichkeit, fast amüsiert an. Als könnte er ihren Mund mit seinem Lächeln versiegeln, so wie eine Mücke mit ihrem Speichel die Haut versiegelt und betäubt, bevor sie zusticht.
    »Nein«, sagte er.
    Mein Gott, was bildete sich Dr. Hemingway ein. Kannte er ihren Körper, war er mit ihr im Wald gewesen, wusste er, was ihr widerfahren ist? Dieser Ahnungslose bestimmte, wie sie der Krankheit gegenübertrat. Was würde dieser Unglücksbursche gleich sagen? Es war ein Labyrinth mit verschiedenen Eingängen. Man konnte A, B, C, D, E wählen. Wählte man Weg A und ging A, würden die meisten, denen man auf A begegnete, sagen: »Ja, ja, A ist schon richtig, A ist schon gut.« Auch wenn A vor einer Wand endet.
    Er sprach es aus.
    »Sie haben Dengue-Fieber.«
    »Oh! … ganz sicher? Ist es schlimm?«
    »Sie bleiben im Bett, nehmen die Medikamente, die ich Ihnen aufschreibe, in einer Woche ist es vorbei«, sagte er. Sie nickte. Einen Zaubertrank würde sie nehmen, wenn er sie von diesem Kopf befreite. »Die Symptome sind bei Ihnen stärker ausgeprägt, weil Sie Ausländerin sind. Ihrem Körper ist diese Krankheit völlig unbekannt. Sie sind nicht gefeit.«
    Sie war nicht gefeit. Aber sie hatte eine Diagnose zum Festhalten.
    Dengue wird von der Tigerstechmücke übertragen. Aus den quälenden Schmerzen in Kopf und Gelenken leitet sich ihr volkstümlicher Name ab: das Knochenbrecherfieber. Frühestens nach dem fünften Tag lässt sich die Krankheit nachweisen. Eine schwungvolle Unterschrift, ein klackerndes Reißen. Der Arzt überreichte ihr das Rezept. Darauf standen zwei universale Schmerzmittel: » 1 . Novalgina – 40  Tropfen nehmen 6 / 6  h, 2 . Tylenol – 40  Tropfen nehmen 6 / 6  h.« Es waren die Koordinaten ins Verderben.
    *
    Die Geschichte der Malaria ist eine Geschichte der falschen Annahmen. Das spiegeln schon die italienischen Wurzeln des Namens wider.
Mal’ Aria
, schlechte Luft, böse Luft. Früher dachtet ihr Menschen, dass faulige Dämpfe aus den Sümpfen aufsteigen und durch den Atem in eure Körper eindringen. »Und es geschah, dass das Land in die Hände der AATU fiel … Die Luft des Himmels mischte sich an jenem Tage mit der jährlichen AATU  …«, so steht es geschrieben auf einem altägyptischen Papyrus aus dem Jahr 2500  v.Chr., die AATU war vermutlich die jährlich nach der Regenzeit wiederkehrende Seuche, ihr Name: Malaria.
    Große Feuer habt ihr an den Gewässern angezündet. Weil ihr befürchtet habt, die üble Luft könnte sich in den engen, verwinkelten Gassen stauen, schufen die antiken Architekten große, breite Straßen und schachbrettförmige Siedlungen, damit der tödliche Hauch in den Himmel entweichen konnte.
    Im heutigen Agrigento ließ man in den Felskamm hinter der Stadt eine Lücke schneiden, »damit die fieberschwangeren Dünste der Ebene weit ins Meer hinausgeblasen werden«. In den Bergen von Kalabrien, Apulien, Sizilien baute man neue Städte, Festungen, die Menschen flüchteten vor den Dämpfen in die Höhe. Die Dörfer wuchsen die Hänge hinauf. Eine Architektur der Malaria entstand, deren Spuren sich bis heute weit verbreitet finden. Es ist eine Architektur der Missverständnisse.
    Wie viele starben, weil sie nichts von dem schwarzen schwebenden Kreuz ahnten? All die deutschen Ritter, die durch die Hitze Italiens geritten kamen, die Ströme schwitzten in ihren Rüstungen, sich derer entledigten. Kaum zeigten sie uns ihre Haut, küsste sie der Tod.
    Jedes Jahr kam die Malaria zurück, einem Kometen gleich, der vom Himmel fiel. Die Miasmen-Theorie setzte sich durch, sie hielt sich hartnäckig. In Rom atmeten alle etwas weniger tief ein. Über einen fiebernden Patienten sagte man: »Er stirbt an der Luft.«
    Von der Campagna di Roma, wo Zitronen blühten, erzählte man sich, dass dort im Sommer die Vögel tot vom Himmel fielen.
     
    Malaria dringt in deine Knochen ein, über das Brot, das du isst, und wann immer du deinen Mund öffnest
.
    Was gibt es für einen mächtigeren Feind als einen, der sich in der Atmosphäre verbirgt.
    Einatmen, ausatmen. So sehr schreckte euch der Fieberdämon, so viele Menschen vernichtete er, dass ihr glaubtet, er verberge sich in jedem kleinsten Luftholen – dass er Wolken und Nebel gleich aus der Erde empordampfen könne.
    Es zeigt nur, dass ihr nicht die geringste Ahnung hattet.
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