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Maigret und Monsieur Charles

Maigret und Monsieur Charles

Titel: Maigret und Monsieur Charles
Autoren: Georges Simenon
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Marschallstab war.
    Er starrte auf die Pfeifen und verschob sie ab und zu wie Schachfiguren. Als er ein leises Klopfen an der Tür hörte, die sein Büro mit dem der Inspektoren verband, zuckte er zusammen.
    Ohne eine Antwort abzuwarten, trat Lapointe ein.
    »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe, Chef...«
    »Du störst mich überhaupt nicht...«
    Es war jetzt fast zehn Jahre her, seit Lapointe in die Kriminalpolizei eingetreten war und man es sich angewöhnt hatte, ihn den kleinen Lapointe zu nennen. Damals war er lang und dünn gewesen. Seither war er etwas dicker geworden. Er hatte geheiratet und hatte zwei Kinder. Trotzdem war er der kleine Lapointe geblieben, und manche fügten hinzu: der Liebling von Maigret.
    »Ich habe da eine Frau in meinem Büro, die Sie unbedingt persönlich sehen will. Sie will mir nichts sagen. Sie sitzt auf ihrem Stuhl und rührt sich nicht vom Fleck, fest entschlossen, sich durchzusetzen.«
    Das kam häufig vor. Die Leute hatten in der Zeitung von ihm gelesen und bestanden darauf, ihn persönlich zu sprechen, und oft war es schwierig, sie davon abzubringen. Manche, die Gott weiß wie, seine Privatadresse herausgefunden hatten, klingelten sogar bei ihm am Boulevard Richard-Lenoir.
    »Hat sie dir ihren Namen gesagt?«
    »Hier ist ihre Karte.«
    Madame Sabin-Levesque
    207 bis Boulevard Saint-Germain
    »Sie kommt mir sonderbar vor«, sagte Lapointe. »Ihr Blick ist starr, und sie hat eine Art nervösen Tick, durch den sich ihr rechter Mundwinkel herabzieht. Sie hat die Handschuhe nicht ausgezogen, aber mir ist aufgefallen, dass sich ihre Finger in einem fort verkrampfen.«
    »Lass sie hereinkommen und bleib hier. Nimm für alle Fälle deinen Stenoblock.«
    Maigret blickte auf seine Pfeifen und seufzte bedauernd. Die Pause war zu Ende.
    Als die Frau hereinkam, stand er auf.
    »Nehmen Sie Platz, Madame...«
    Sie starrte ihn an.
    »Sind Sie wirklich Kommissar Maigret?«
    »Ja.«
    »Ich habe Sie mir dicker vorgestellt.«
    Sie trug einen Pelzmantel und eine dazu passende Mütze. War es Nerz? Maigret kannte sich in diesen Dingen nicht aus, denn die Frau eines Bezirkskommissars muss sich zumeist mit Kaninchen oder bestenfalls mit Bisam oder Nutria zufrieden geben.
    Madame Sabin-Levesque ließ ihren Blick durch das Büro schweifen, wie um eine Bestandsaufnahme zu machen. Als sich Lapointe mit Block und Bleistift am Schreibtischende niederließ, fragte sie:
    »Bleibt der junge Mann hier?«
    »Ja doch.«
    »Schreibt er unser Gespräch mit?«
    »Das ist Vorschrift.«
    Ihre Stirn verdüsterte sich, und ihre Finger krampften sich um die krokodillederne Handtasche.
    »Ich dachte, ich könnte ein vertrauliches Gespräch mit Ihnen führen.«
    Maigret gab keine Antwort. Er musterte seine Klientin und fand sie, nicht anders als Lapointe, zumindest sonderbar. Bald starrte sie einen auf unangenehme Weise an, bald wirkte sie völlig abwesend.
    »Sie wissen, wer ich bin, nehme ich an.«
    »Ich habe Ihren Namen auf Ihrer Karte gelesen.«
    »Wissen Sie, wer mein Mann ist?«
    »Sicher hat er den gleichen Namen wie Sie.«
    »Er ist einer der bedeutendsten Notare von Paris.«
    Immer dieser Tick, dieser zuckende Mundwinkel! Sie schien nur mit Mühe die Fassung zu bewahren.
    »Sprechen Sie bitte weiter.«
    »Er ist verschwunden.«
    »In diesem Fall dürfen Sie sich nicht an mich wenden. Es gibt eine Sonderabteilung, die für Vermisstenanzeigen zuständig ist.«
    Sie lächelte spöttisch, ohne Fröhlichkeit, und machte sich nicht die Mühe, zu antworten.
    Ihr Alter war schwer zu schätzen. Sie dürfte kaum älter als vierzig, höchstens fünfundvierzig sein, aber sie hatte scharfe Gesichtszüge und Tränensäcke unter den Augen.
    »Haben Sie getrunken, bevor Sie hierher kamen?« fragte Maigret unvermittelt.
    »Interessiert Sie das?«
    »Ja. Sie haben selbst darauf bestanden, mich zu sprechen, oder? Dann müssen Sie auch auf Fragen gefasst sein, die Ihnen zweifellos indiskret Vorkommen.«
    »Ich habe mir Sie anders vorgestellt, verständnisvoller. « »Gerade weil ich zu verstehen suche, muss ich bestimmte Dinge wissen.«
    »Ich habe zwei Gläser Cognac getrunken, um mir Mut zu machen.«
    »Nur zwei?«
    Sie sah ihn wortlos an.
    »Wann ist Ihr Mann verschwunden?«
    »Vor fast einem Monat. Am 18. Februar. Jetzt haben wir den 21. März ...«
    »Hat er angekündigt, dass er verreisen wollte?«
    »Keinen Ton hat er mir gesagt.«
    »Und Sie melden sein Verschwinden erst jetzt?«
    »Ich bin daran
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