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Maigret und Monsieur Charles

Maigret und Monsieur Charles

Titel: Maigret und Monsieur Charles
Autoren: Georges Simenon
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nichts. Er versuchte nicht, seine Eindrücke zu analysieren, und erst recht nicht, sie in Worte zu fassen. Lapointe begriff, dass er verwirrt war, und er bedauerte, so unbedacht gefragt zu haben.
    »Vielleicht ist sie verrückt«, murmelte er trotzdem.
    Der Kommissar sah ihn düster an, ohne ein Wort.
    Er blieb eine ganze Weile am Fenster stehen, dann fragte er:
    »Kommst du mit mir essen?«
    »Gern, Chef. Zumal meine Frau bei ihrer Schwester in Saint-Cloud ist.«
    »Sagen wir in einer Viertelstunde.«
    Nachdem Lapointe gegangen war, nahm er den Telefonhörer ab und verlangte Boulevard Richard-Lenoir.
    »Bist du’s?« sagte die Stimme seiner Frau, bevor er noch den Mund aufgemacht hatte.
    »Ich bin’s.«
    »Ich wette, du willst mir verkünden, dass du nicht zum Mittagessen kommst.«
    »Du hast gewonnen.«
    »Gehst du in die >Brasserie Dauphine    »Ein neuer Fall?«
    Drei Wochen war es her, seit er seine letzte größere Ermittlung abgeschlossen hatte, und dass er Lust hatte, an der Place Dauphine zu essen, war ganz einfach ein Zeichen dafür, dass er voller Vergnügen wieder aktiv wurde. Und ein bisschen war es auch, als könne er dem Polizeipräsidenten und dem Innenminister, die sich in den Kopf gesetzt hatten, ihn in ein feudales Büro einzusperren, damit ein Schnippchen schlagen.
    »Ja.«
    »Ich habe nichts davon in der Zeitung gelesen.«
    »Die Zeitungen haben noch nichts darüber geschrieben, und werden es vielleicht auch gar nicht tun.«
    »Lass es dir schmecken. Ich hätte dir nur gegrillte Heringe anbieten können...«
    Er überlegte noch eine Weile, dann legte er den Hörer auf und starrte den Sessel an, in dem seine Besucherin gesessen hatte. Er glaubte sie wieder vor sich zu sehen, mit ihrer Nervosität, ihren glänzenden Pupillen und ihren Ticks.
    »Würden Sie mich bitte mit Rechtsanwalt Demaison verbinden?«
    Er wusste, dass er ihn um diese Zeit zu Hause antreffen würde.
    »Hier Maigret.«
    »Wie geht es Ihnen? Haben Sie wieder einen armen Mörder für mich?«
    »Noch nicht. Ich brauche lediglich eine Auskunft. Kennen Sie einen Notar namens Sabin-Levesque, Boulevard Saint-Germain?«
    »Gerard? Aber sicher. Wir haben zusammen Jura studiert.« »Was halten Sie von ihm?«
    »Ist er mal wieder abgehauen?«
    »Sie wissen Bescheid?«
    »Alle seine Freunde wissen Bescheid. Von Zeit zu Zeit verknallt er sich in eine hübsche Frau und verschwindet für eine Nacht oder für ein paar Tage von der Bildfläche. Er hat eine ausgeprägte Vorliebe für das, was ich als leichte Mädchen bezeichnen würde, Stripteasetänzerinnen zum Beispiel, oder Animierdamen ...«
    »Passiert ihm das oft?«
    »Ein dutzendmal im Jahr, soviel ich weiß.«
    »Ist er ein seriöser Notar?«
    »Er hat mit die beste Klientel von Paris geerbt, fast den ganzen Faubourg Saint-Germain, obwohl er kaum etwas von einem üblichen Notar hat. Er trägt helle Anzüge, manchmal sogar großkarierte Tweedjacketts.
    Er ist ein sehr fröhlicher, fideler Bursche, der das Leben von der positiven Seite nimmt, was ihn nicht daran hindert, die Vermögenswerte, die ihm anvertraut sind, mit außergewöhnlich gutem Spürsinn zu verwalten ... Ich kenne einige seiner Klienten und Klientinnen, und alle schwören auf ihn...«
    »Kennen Sie seine Frau?«
    Langes Zögern.
    »Ja.«
    »Und?«
    »Eine seltsame Frau. Ich möchte nicht mit ihr Zusammenleben, und Gerard wohl auch nicht, denn er sieht sie so wenig wie möglich.«
    »Geht er manchmal mit ihr aus?«
    »Soviel ich weiß nicht.«
    »Hat sie Freundinnen, Freunde?« »Auch nicht, soviel ich weiß.«
    »Liebhaber?«
    »Ich habe keinerlei Gerüchte über sie gehört. Die meisten Leute halten sie für eine Neurasthenikerin oder für eine Verrückte. Sie säuft wie ein Loch.«
    »Das habe ich gemerkt.«
    »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Ihr Mann ist anscheinend seit einem Monat verschwunden.«
    »Und niemand hat etwas von ihm gehört?«
    »Sieht so aus. Deshalb ist sie beunruhigt und hat mich heute Morgen aufgesucht.«
    »Warum Sie und nicht das Vermisstenbüro?«
    »Das habe ich sie auch gefragt. Sie hat nicht darauf geantwortet.«
    »Wenn er für mehrere Tage weg ist, bleibt er in der Regel in telefonischer Verbindung mit seinem Kanzleileiter, dessen Name mir entfallen ist... Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Ich werde ihn sicher heute Nachmittag sehen...«
    Ein paar Minuten später öffnete Maigret die Tür zum Büro der Inspektoren und winkte Lapointe. Der stürzte mit einer gewissen
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