Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und Monsieur Charles

Maigret und Monsieur Charles

Titel: Maigret und Monsieur Charles
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
nicht eine Verrückte, auf jeden Fall eine Neurotikerin vor sich hatte. Davon waren schon eine ganze Menge durch sein Büro gekommen, und mit den meisten hatte er seine liebe Not gehabt.
    Die Worte, die sie von sich gab, wirkten ganz normal und plausibel; gleichzeitig hatte man den Eindruck, als bestünde ein Widerspruch zwischen ihnen und der Realität.
    »Glauben Sie, dass er viel Geld bei sich hatte?«
    »Soviel ich weiß, benutzte er immer sein Scheckheft.«
    »Haben Sie mit dem Kanzleileiter über die Sache gesprochen?«
    »Wir reden nicht miteinander.«
    »Warum nicht?«
    »Weil mein Mann mir vor etwa drei Jahren verboten hat, die Büroräume zu betreten.«
    »Hatte er einen Grund dafür?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Sie haben kein gutes Verhältnis zum Kanzleileiter, aber Sie werden ihn doch zumindest kennen?«
    »Lecureur - so heißt er - hat mich nie gern gesehen.«
    »War er schon in der Kanzlei, als Ihr Schwiegervater starb?«
    »Er ist mit zweiundzwanzig eingetreten.«
    »Vielleicht weiß er mehr darüber, wo Ihr Mann sich aufhält?«
    »Schon möglich. Aber wenn ich ihn fragen ginge, würde er mir nichts sagen...«
    Wieder dieser Tick, der Maigret allmählich auf die Nerven ging. Immer deutlicher spürte er, dass dieses Verhör für seine Besucherin eine Qual war. Warum aber war sie dann gekommen?
    »Was für einen Ehevertrag haben Sie?«
    »Gütertrennung.«
    »Haben Sie eigenes Vermögen?«
    »Nein.«
    »Gibt Ihr Mann Ihnen so viel Geld, wie Sie brauchen?«
    »Ja. Geld zählt für ihn nicht. Ich kann es nicht beschwören, aber ich glaube, er ist sehr reich.«
    Maigret stellte seine Fragen ohne ein bestimmtes System. Er forschte in alle Richtungen, aber bis jetzt hatte er nichts gefunden.
    »Hören Sie. Sie sind müde, das ist auch verständlich. Wenn Sie erlauben, komme ich heute Nachmittag zu Ihnen...«
    Sie stand noch nicht auf und fingerte weiter an ihrer Handtasche herum.
    »Was denken Sie von mir?« fragte sie schließlich in gedämpftem Ton.
    »Ich denke noch gar nichts.«
    »Sie finden mich schwierig, nicht wahr?«
    »Nicht unbedingt.«
    »Meine Klassenkameradinnen im Lyzeum fanden mich schwierig, und ich hatte eigentlich nie Freundinnen.«
    »Und doch sind Sie sehr intelligent.«
    »Glauben Sie?«
    Sie zeigte ein Lächeln, das vom Zucken ihrer Lippen begleitet war.
    »Es hat mir nichts genützt.«
    »Sind Sie nie glücklich gewesen?«
    »Nie. Ich weiß gar nicht, was das Wort bedeutet.«
    Sie zeigte auf Lapointe, der immer noch stenografierte.
    »Ist es wirklich nötig, dass unser Gespräch aufgezeichnet wird? Es ist schwer, unbefangen zu reden, wenn jemand alles mitstenografiert, was man sagt.« »Wenn Sie mir irgendetwas Vertrauliches zu sagen haben, werden keine Notizen mehr gemacht...«
    »Jetzt habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen...«
    Sie erhob sich mit einer gewissen Anstrengung. Sie hatte hängende Schultern, einen leicht gekrümmten Rücken und einen eingefallenen Brustkorb.
    »Muss er heute Nachmittag auch dabei sein?«
    Maigret zögerte, wollte ihr eine Chance geben.
    »Ich werde allein kommen.«
    »Um wieviel Uhr?«
    »Wann es Ihnen am besten passt.«
    »Ich pflege einen Mittagsschlaf zu halten. Wäre Ihnen vier Uhr recht?«
    »Sehr gut.«
    »Es ist im ersten Stock. Im Torgewölbe nehmen Sie die Tür rechts.«
    Sie reichte ihm nicht die Hand. Steif stakste sie zur Tür, als hätte sie Angst zu fallen.
    »Jedenfalls danke ich Ihnen, dass Sie mich empfangen haben«, murmelte sie vor sich hin.
    Und nach einem letzten Blick auf Maigret ging sie auf die große Treppe zu.
    Die beiden Männer sahen sich an, als wollte jeder den Augenblick hinauszögern, da er den Mund aufmachen und dem anderen Fragen stellen würde. Nur mit dem Unterschied, dass Lapointe völlig verdutzt war, während der Kommissar ziemlich ernst blieb, wenn auch mit einem schalkhaften Blitzen in den Augen.
    Er ging das Fenster öffnen, suchte sich eine recht große Pfeife aus und stopfte sie. Lapointe konnte nicht mehr an sich halten.
    »Wie denken Sie darüber, Chef?«
    Das war eine Frage, die ihm seine Mitarbeiter nur selten zu stellen wagten, denn meistens gab er mit einem wohlbekannten Grummeln zur Antwort:
    »Ich denke gar nicht.«
    Statt dessen fragte er seinerseits:
    »Über die Geschichte mit dem verschwundenen Ehemann?«
    »Vor allem über sie...«
    Maigret zündete seine Pfeife an, stellte sich ans Fenster und seufzte, während er die sonnenbeschienenen Quais betrachtete.
    »Eine sonderbare Frau...«
    Sonst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher