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Maigret und Monsieur Charles

Maigret und Monsieur Charles

Titel: Maigret und Monsieur Charles
Autoren: Georges Simenon
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gekommen, einmal selbst nachzusehen?«
    »Ich bin nicht neugierig...«
    »Das habe ich bemerkt.«
    Sie schenkte sich zu trinken ein, und ihre Lippen begannen wieder zu zucken, ihr Blick war matter geworden, abwesend. Maigret meinte schon, dass sie plötzlich seine Gegenwart bemerken und ihn fragen würde, was er hier wolle.
    »Sie glauben also an ein Verbrechen?«
    »Und Sie?«
    »Warum nicht an eine Krankheit?«
    »Er hat eine eiserne Gesundheit.«
    »Ein Unfall...«
    »Das hätte ich aus der Zeitung erfahren...«
    »Haben Sie in den Kliniken angerufen?«
    »Gestern.«
    Entgegen dem Anschein, den sie erweckte, hatte sie also ihre fünf Sinne beisammen.
    Auf dem weißen Marmorkamin stand eine Fotografie in silbernem Rahmen. Maigret erhob sich, um sie aus der Nähe zu betrachten. Es war Madame Sabin- Levesque, in viel jüngerem Alter, als junges Mädchen, in einer manierierten Pose. Damals war sie sehr hübsch gewesen, mit einem jungenhaften Ausdruck im Gesicht.
    »Das war ich, ja... Ich habe mich verändert, nicht wahr?«
    »Ist das Bild vor oder nach Ihrer Hochzeit aufgenommen worden?«
    »Einige Wochen danach. Gerard wollte unbedingt, dass ich mich von einem berühmten Fotografen am Boulevard Haussmann fotografieren ließ.« »Er war also in Sie verliebt?«
    »Weiß ich nicht. Es sah so aus.«
    »Kam der Bruch ganz plötzlich?«
    »Nein. Er ist ein erstes Mal für vierundzwanzig Stunden weggeblieben, und ich habe nichts gesagt. Er hat mir erzählt, er hätte eine Klientin in der Provinz besucht... Später machte er es sich dann immer leichter. Er sagte mir nicht mal mehr Bescheid. Nach dem Abendessen ging er aus dem Haus, und ich wusste nie, wann er zurückkommen würde...«
    »Was für ein Mann ist er privat?«
    »Jeder wird Ihnen sagen, dass er ein sehr fröhlicher Kerl war, der sich mit allen gut verstand und stets hilfsbereit war. Manche fanden, dass er sich ein bisschen kindisch benahm...«
    »Und Sie?«
    »Ich habe mich über nichts zu beklagen. Ich muss wohl etwas falsch gemacht haben, oder er hat sich in mir getäuscht...«
    »Was heißt das?«
    »Dass er geglaubt hat, ich sei anders als ich bin...«
    »Was haben Sie gemacht, bevor Sie ihn kennenlernten?«
    »Ich war Sekretärin bei einem Anwalt... Maître Bernard d’Argens, Rue de Rivoli... Die beiden Männer kannten sich... Gerard kam öfters in die Praxis meines Chefs, und eines Tages bat er mich, mit ihm auszugehen ...«
    »Sind Sie in Paris geboren?«
    »Nein. In Quimper...«
    »Warum glauben Sie, dass er ermordet worden ist?«
    »Weil das die einzige Erklärung ist.«
    »Lebt Ihre Mutter noch?« »Ja. Mein Vater, er hieß Louis Frassier, ist gestorben. Er war Buchhalter. Meine Mutter ist eine geborene Gräfin Utschewka...«
    »Schicken Sie ihr Geld?«
    »Selbstverständlich. Geld hat für Gerard nie gezählt. Er gab mir soviel ich wollte, ohne mir Fragen zu stellen ...«
    Sie leerte ihr Glas und tupfte sich mit einem Taschentuch die Lippen ab.
    »Erlauben Sie mir, die Wohnung zu besichtigen?« »Ich begleite Sie...«
    Sie erhob sich von der Chaiselongue und ging mit vorsichtigen Schritten zur Tür.
2
    Es roch nach dickem Vermögen, nach den vornehmen Familien des vergangenen Jahrhunderts, nach Ordnung und Strenge. Die Wohnung nahm die ganze Etage ein, und Madame Sabin-Levesque, immer noch wackelig auf den Beinen, begann die Führung in dem Teil, der ihr gehörte.
    Nach dem Boudoir gelangte man in ein sehr großes Zimmer, dessen Wände ebenfalls mit blauer Seide bespannt waren. Das war anscheinend ihre Lieblingsfarbe. Das Bett war ungemacht, und sie kümmerte sich nicht um die Vertraulichkeit, die sie auf diese Weise zeigte. Die Möbel waren weiß. Auf der Kommode stand eine angebrochene Flasche Cognac.
    »Wie heißen Sie mit Vornamen?« fragte Maigret.
    »Nathalie. Wahrscheinlich als Erinnerung an meine russische Herkunft...«
    Das Badezimmer war aus graublauem Marmor, sowohl die Wände als auch der Boden, und es war ebenso unaufgeräumt wie das Schlafzimmer.
    Es folgte ein ringsum von Wandschränken umgebenes Zimmer, dann eines, das man als kleinen Ruheraum bezeichnen konnte, eine Wiederholung des Boudoirs.
    »Hier nehme ich meine Mahlzeiten ein, wenn ich nicht im Esszimmer speise.« Sie hatte die gleichgültige Miene eines Museumsführers.
    »Jetzt kommen wir in den Bereich des Hauspersonals.«
    Als erstes ein großes Zimmer mit verglasten Wandschränken voller Tafelsilber, dann ein kleines weißgetünchtes Esszimmer und schließlich die Küche mit
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