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Maigret und Monsieur Charles

Maigret und Monsieur Charles

Titel: Maigret und Monsieur Charles
Autoren: Georges Simenon
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einem altertümlichen Herd und kupfernem Kochgeschirr. Eine alte Frau hantierte emsig herum.
    »Marie Jalon, sie war schon zur Zeit meines Schwiegervaters hier.«
    »Wann ist er gestorben?«
    »Vor zehn Jahren.«
    »Sie haben also hier mit ihm zusammen gelebt.«
    »Fünf Jahre lang...«
    »Verstanden Sie sich gut?«
    »Ich war ihm völlig gleichgültig. Damals nahm ich meine Mahlzeiten noch im Esszimmer ein, und ich könnte an der Hand abzählen, wie oft er mit mir gesprochen hat.«
    »Was hatte er für ein Verhältnis zu seinem Sohn?«
    »Gerard ging um neun Uhr ins Büro hinunter. Er hatte ein Zimmer für sich allein. Ich weiß nicht, was er dort genau machte.«
    »Kam es damals schon vor, dass er verschwand?«
    »Ja, für drei, vier Tage...«
    »Und sein Vater sagte nichts?«
    »Er tat, als bemerke er es gar nicht...«
    Maigret entdeckte eine ganz eigene, überlebte, in sich zurückgezogene Welt. Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts hatten in den beiden Salons vielleicht Empfänge und Bälle stattgefunden. Ja, es gab zwei Salons, und der zweite war fast ebenso groß wie der erste.
    Überall Tafelwerk an den Wänden, dessen Holz dunkel geworden war.
    Und überall Gemälde aus einer anderen Zeit, Porträts von Männern mit Backenbärten und in hohe Stehkragen eingezwängten Hälsen. Man hätte meinen können, das Leben sei hier irgendwann stehengeblieben.
    »Jetzt kommen wir in die Wohnung meines Mannes ...«
    Ein Arbeitszimmer mit gebundenen Büchern bis zur Decke. Eine kleine Leiter aus Nussbaumholz, um an die oberen Reihen zu gelangen. Der Schreibtisch schräg vor dem Fenster war mit einer Schreibunterlage und mit Accessoires aus braunem Leder versehen. Keinerlei Unordnung. Nichts deutete darauf hin, dass hier jemand wohnte.
    »Hält er sich abends hier auf?«
    »Wenn er zu Hause ist.«
    »Ich sehe, er hat einen Fernseher.«
    »Ich auch, aber ich sehe nie fern.«
    »Ist es schon vorgekommen, dass Sie den Abend in diesem Zimmer verbracht haben?«
    »In der ersten Zeit unserer Ehe.«
    Sie formte die Wörter mit einer gewissen Mühe und ließ sie fallen, als hätten sie keine Bedeutung. Ihre Mundwinkel zogen sich wieder nach unten und gaben ihrem Gesicht einen bitteren Ausdruck.
    » Sein Schlafzimmer...«
    Maigret hatte genügend Zeit gehabt, sich zu vergewissern, dass die Schreibtischschubladen abgeschlossen waren. Was mochten sie enthalten?
    Die ganze Wohnung hatte sehr hohe Decken und auch sehr hohe Fenster, die von purpurroten Veloursvorhängen verdunkelt wurden. Die Wände waren hier nicht mit Holz, sondern mit rötlichem Leder verkleidet. Das Bett war für zwei Personen. Es gab auch einige Sessel mit leicht eingesunkenen Polstern.
    »Haben Sie hier geschlafen?«
    »Ein paar Mal, in den ersten drei Monaten...«
    War es Hass, was ihre Stimme, ihr Gesicht ausdrückte?
    Sie setzten die Besichtigung fort, immer noch wie in einem Museum.
    »Sein Badezimmer... Man sah noch seine Zahnbürste, seinen Rasierapparat, seine Haarbürste und seinen Kamm.
    »Nahm er nie etwas mit?«
    »Soviel ich weiß nicht.«
    Eine Garderobe wie bei Nathalie, dann ein Gymnastikraum.
    »Benutzte er den?«
    »Selten. Er ist ziemlich dick geworden; nicht dick im eigentlichen Sinn, aber korpulent...«
    Sie stieß eine Tür auf.
    »Die Bibliothek...«
    Tausende von Büchern aller Epochen, allerdings sehr wenig neuere Werke.
    »Las er viel?«
    »Ich habe nie nachgeschaut, was er am Abend machte. Die Treppe hier führt direkt in die Kanzlei, denn wir sind über dem Torgewölbe hinübergegangen. Brauchen Sie mich noch?«
    »Wahrscheinlich muss ich Sie noch einmal sehen. Wenn ja, rufe ich Sie an.«
    Gleich würde sie zu ihrer Flasche zurückkehren.
    »Jetzt gehen Sie in die Büroräume hinunter, nehme ich an?«
    »Ja, ich möchte Monsieur Lecureur ein paar Fragen stellen. Entschuldigen Sie, dass ich Sie belästigt habe...«
    Sie ging davon, mitleiderregend im Grunde, aber zugleich enervierend. Maigret stieg die Treppe hinunter und stopfte sich dabei eine Pfeife, denn er hatte es vermeiden wollen, in der Wohnung zu rauchen.
    Er stand nun in einem großen Zimmer, in dem ein halbes Dutzend Schreibdamen fieberhaft arbeiteten und ihn überrascht ansahen.
    »Monsieur Lecureur, bitte.«
    In Regalen Hunderte von grünen Aktenordnern, wie man sie auf Ämtern und bei den meisten Notaren findet. Eine kleinwüchsige, brünette Frau führte ihn durch ein Zimmer, in dem nichts als ein langer Tisch und ein riesiger, altertümlicher Panzerschrank standen.
    »Hier
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