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Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Titel: Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet
Autoren: Georges Simenon
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Mitleid mit Saint-Hilaire. Wie er krampfhaft versuchte, sich zu rechtfertigen, seine Fassung wiederzuerlangen!
    Ein jämmerlicher kleiner Schuft, der nicht einmal den Mut hatte, zu seiner Gemeinheit zu stehen! Der vielleicht selbst nicht wußte, wie gemein er war!
    Wie er sich aufspielte! Und dennoch jedesmal zusammenzuckte, wenn Maigret auch nur einen Finger rührte.
    »Selbstverständlich bin ich bereit, seiner Frau jederzeit beizustehen, falls sie Hilfe braucht. Soweit es meine Mittel erlauben. Und natürlich ganz diskret …«
    Er wußte, daß die Geschichte verjährt war. Dennoch schien sie ihm keine Ruhe zu lassen. Er hätte wohl viel darum gegeben, ein begütigendes Wort aus dem Mund des Kommissars zu hören, der jetzt so unerbittlich mit ihm spielte wie die Katze mit der Maus.
    »Er hat für seine Frau gesorgt.«
    »Das stand in der Zeitung, ja. Eine Lebensversicherung. Dreihunderttausend! Unglaublich!«
    »Unglaublich, wie?« fuhr Maigret ihn an. »Ein Mann, der als Junge keinen Centime besaß. Der sich nie etwas leisten konnte. Wissen Sie überhaupt, was das heißt? Das Gymnasium in Bourges zählt die reichsten Herrensöhnchen aus Mittelfrankreich zu seinen Schülern. Saint-Hilaire! Ein guter Name! Ebenso alt und ebenso berühmt wie die Namen der anderen, nur leider mit diesem lächerlichen Tiburce davor …
    Aber was hat er von seinem berühmten Namen, was hat er von seiner freien Kost, seinem freien Studium, wenn er sich nicht einmal eine Tafel Schokolade oder eine Trillerpfeife oder ein paar Murmeln kaufen kann?
    In den Schulpausen steht er abseits in einer Ecke, allein. Die einzigen, die ihn vielleicht bemitleiden, sind die Aufseher, denen es nicht viel besser ergeht als ihm …
    Er verläßt die Schule. Er verkauft Bücher. Er schleppt sich durchs Leben, hoffnungslos, mit seinem endlosen Namen, seinem Jackett, seiner angegriffenen Leber. Er besitzt nichts, das er verpfänden könnte. Nichts, außer einem berühmten Namen, den ihm eines schönen Tages einer abkauft.
    Und dann? Den Namen ist er los, die Misere bleibt. Als Gallet steigt er eben noch eine Stufe höher. Er wird ein Durchschnittsbürger. Zumindest kann er sich satt essen, wenn er Hunger hat, und trinken, wenn er Durst hat.
    Die angeheiratete Verwandtschaft behandelt ihn wie einen räudigen Hund.
    Er hat eine Frau, einen Sohn. Und diese Frau, dieser Sohn werfen ihm dauernd seine Unfähigkeit vor, nach Höherem zu streben, Geld zu verdienen, Departementsrat zu werden wie sein Schwager.
    Doch dann, eines Tages, ist der Name, den er für dreißigtausend Franc verschachert hat, plötzlich über eine Million wert! Das einzige, was er jemals besessen hat! Sein Name, dem er soviel Elend, so viele Demütigungen verdankt. Und von dem er sich damals in Le Havre endgültig befreite!
    Und jetzt speist ihn der wahre Gallet, der lustige Haudegen, der berühmte Witzbold dann und wann mit einem schäbigen Almosen ab!
    Unglaublich, sagen Sie. Ja. Er hat nie Glück gehabt. Sein Leben lang hat er auf die Zähne beißen müssen. Kein Mensch hat ihm jemals geholfen.
    Sein Sohn ist davongelaufen, sobald er volljährig war, um ein eigenes Leben zu führen. Mag der Alte sehen, wie weit er es mit seinen spießigen Allüren bringt!
    Seine Frau hat resigniert. Ich sage nicht, sie habe ihm geholfen. Ich sage auch nicht, sie habe ihn getröstet.
    Sie hat einfach resigniert , weil sie spürte, er würde es nie zu etwas bringen. Ein bedauernswerter Versager, der Diät halten mußte!
    Und er hinterläßt ihr dreihunderttausend Franc! Mehr, als sie jemals gemeinsam besessen haben! Dreihunderttausend Franc sind viel Geld, jedenfalls genug, damit ihre Schwestern angelaufen kommen und der Herr Departementsrat sie mit seinem Lächeln beehrt …
    Die letzten fünf Jahre seines Lebens vegetiert er dahin. Seine Anfälle häufen sich. Von den Royalisten holt er kaum mehr als einen Bettlerlohn heraus. Hier in Sancerre kann er wenigstens hin und wieder einen Tausender loseisen.
    Aber das meiste Geld, das er auf diese Weise zusammenscharrt, nimmt ihm ein gewisser Monsieur Jacob ab.
    Unglaublich, jawohl, Monsieur de Saint-Hilaire – Verzeihung, Monsieur Gallet! Denn während er jeden Centime zweimal umdreht, ehe er ihn ausgibt, kommt er gleichzeitig für eine Lebensversicherung auf, die ihn jedes Jahr über zwanzigtausend Franc kostet.
    Er sieht den Tag kommen, da er vor Verzweiflung nicht mehr weiter kann oder da sein Herz von allein stillsteht.
    Ein einsamer alter Mann, der kommt
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