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Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Titel: Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet
Autoren: Georges Simenon
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nennen, hat mich dreißigtausend Franc gekostet!«
    Maigret betrachtete das Foto auf dem Kamin. Dann begann er sein Gegenüber von Kopf bis Fuß zu mustern, sah ihm schließlich direkt in die Augen, und sein Blick war so hart, daß der andere hastig weitersprach.
    »Es war ein Geschäft wie jedes andere. Wie wenn zum Beispiel ein Finanzmann zweihunderttausend Franc in Papiere investiert, von denen er weiß, daß er sie nach einem Monat zum fünffachen Preis wieder verkaufen kann. Ich habe vier Jahre auf meine Erbschaft gewartet! Der alte Dschungelmensch wollte und wollte nicht sterben … Ich war derjenige, der vor Hunger fast umkam, nachdem ich dem andern mein ganzes Geld gegeben hatte …
    Wir waren etwa gleich alt, er und ich. Brauchten nur unsere Papiere zu tauschen. Der andere durfte sich bloß nie in Nantes zeigen, denn dort hätte er Leuten begegnen können, die mich kannten.
    Bei mir war es anders. Ich lief kaum Gefahr, einem Bekannten von ihm in die Arme zu laufen. Der echte Tiburce hat nie Freunde gehabt. Und was seine Arbeitgeber betrifft, so hatte er ihnen seinen wahren Namen verschwiegen, weil er ihm eher schadete als nützte.
    Oder können Sie sich vielleicht einen Buchhandlungsgehilfen vorstellen, der Tiburce de Saint-Hilaire heißt?
    Eines Tages entdeckte ich endlich eine Zeitungsannonce, die mir den Tod des Alten bestätigte. Sie enthielt die Aufforderung an die gesetzlichen Erben, sich zu melden …
    Wollen Sie nach alledem behaupten, ich hätte die Million zweihunderttausend Franc, die der verrückte Buschmann hinterlassen hat, nicht verdient?«
    Maigrets Schweigen schien ihn zu ermutigen. Er lebte sichtlich auf. Ja, es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte dem Kommissar zugeblinzelt.
    »Natürlich kam der falsche Gallet gleich zu mir gelaufen. Er hatte inzwischen geheiratet und war nicht auf Rosen gebettet. Er überhäufte mich mit Vorwürfen, stieß sogar Drohungen aus. Eine Zeitlang dachte ich, er würde mich umbringen.
    Ich bot ihm zehntausend Franc an. Er nahm sie …
    Aber sechs Monate später kam er wieder. Und dann wieder und wieder. Er drohte mir mit der Polizei. Ich versuchte ihm begreiflich zu machen, daß er die gleichen Folgen zu gewärtigen hätte wie ich.
    Zu allem Übel hatte er eine Sippe im Hintergrund. Eine Familie, die er offenbar fürchtete wie die Pest.
    Mit der Zeit wurde er bescheidener. Er alterte schnell. Manchmal erregte er geradezu Mitleid, mit seinem Jackett, seinem Bärtchen, seiner gelben Haut, den hohlen Augen …
    Er führte sich je länger, je mehr wie ein Bettler auf. Erst forderte er fünfzigtausend, schwor, es sei das endgültig letzte Mal, und zog schließlich mit einem oder zwei Tausendern wieder ab.
    Aber rechnen Sie sich aus, was mich das in den letzten achtzehn Jahren gekostet hat! Ich wäre, wie gesagt, am Ende, wenn ich ihn nicht ein für allemal abgewimmelt hätte.
    Ich habe hart gearbeitet! Mein ganzes Geld investiert. Das ganze Gebiet, das Sie flußaufwärts sehen, habe ich in eine Weinbaugegend verwandelt!
    Und er? Was hat er in all den Jahren getan? Er gab sich als Reisevertreter aus und lebte in Wirklichkeit davon, daß er andere schröpfte. An diesem Metier fand er, wie Sie wissen, immer mehr Gefallen. Immer häufiger suchte unser Monsieur Clement seine adeligen Opfer heim.
    Was hätten Sie an meiner Stelle getan? Erklären Sie mir das!«
    Seine Stimme war lauter geworden. Er sprang auf.
    »An jenem Samstag wollte er auf der Stelle zwanzigtausend Franc. Ich hätte sie ihm so oder so nicht geben können, denn die Bank war geschlossen. Abgesehen davon, fand ich, ich hätte schon genug bezahlt.
    Das sagte ich ihm. Und er sei ein gemeiner Schmarotzer … Am Nachmittag kam er wieder, so demütig, daß einem übel werden konnte.
    Ein Mensch hat nicht das Recht, sich so gehenzulassen. Das Leben ist ein Glücksspiel. Entweder man gewinnt oder man verliert. Aber man bewahrt sich seinen Stolz …«
    »Sagten Sie ihm das auch?« unterbrach ihn Maigret erstaunlich sanft.
    »Warum nicht? Ich hoffte ihn damit ein wenig aufrütteln zu können. Ich bot ihm fünfhundert Franc …«
    Maigret trat zum Kamin, rückte das Bild des Toten zurecht.
    »Fünfhundert Franc«, wiederholte er.
    »Ich kann Ihnen die Agenda zeigen, in der ich alle meine Ausgaben notiere. Sie wird Ihnen beweisen, daß er mir im Laufe der Jahre über zweihunderttausend Franc abgeknöpft hat … An jenem Abend war ich im Park …«
    »Etwas nervös, wie?«
    »Ich war nervös, ja, ich weiß
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