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Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel
Autoren: Georges Simenon
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mußte ihn mitgerissen haben, als er vornüberfiel.
    Schritte im Hof, in dem sich die Geräusche an diesem Abend wie unter einer Glocke vervielfachten. Die Concierge rief ihn von der Schwelle aus, um die Leiche nicht sehen zu müssen:
    »Herr Kommissar, die Beamten vom Revier sind da.«
    Die Concierge mochte sie nicht. Sie waren zu viert oder zu fünft und gaben sich keine Mühe, unbemerkt hereinzukommen. Einer von ihnen erzählte eine witzige Geschichte zu Ende, und ein anderer betrat das Büro mit der Frage:
    »Wo ist die Leiche?«
    Der Revierkommissar war nicht im Dienst, so daß sein Vertreter erschienen war. Es war daher selbstverständlich, daß Maigret weiterhin die Leitung übernahm.
    »Lassen Sie Ihre Leute draußen. Ich warte noch auf die Staatsanwaltschaft. Ich möchte nicht, daß die Mieter etwas merken.«
    Und während der Beamte sich das Büro besah, wandte Maigret sich wieder der jungen Frau zu.
    »Wie heißen Sie?«
    »Nine … Nine Moinard, aber alle nennen mich nur Nine.«
    »Kannten Sie Couchet schon lange?«
    »Etwa sechs Monate …«
    Er brauchte nicht viel zu fragen. Es genügte, sie anzusehen. Ein recht hübsches Ding, ziemlich jung. Ihr Kleid stammte aus einem guten Geschäft. Aber die Art, wie sie sich schminkte, wie sie ihr Täschchen und ihre Handschuhe trug und den Leuten fordernd in die Augen sah, verriet, daß sie in Cabarets zu Hause war.
    »Tänzerin?«
    »Ich habe im Moulin-Bleu gearbeitet.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt bin ich mit ihm zusammen …«
    Sie hatte keine Zeit gehabt, zu weinen. Alles war zu schnell gegangen, und sie hatte die Wirklichkeit noch immer nicht ganz begriffen.
    »Lebte er mit Ihnen zusammen?«
    »Nicht ganz, er ist nämlich verheiratet. Aber eigentlich …«
    »Wo wohnen Sie?«
    »Im Hotel Pigalle, Rue Pigalle.«
    Der Vertreter des Revierkommissars unterbrach ihn:
    »Ein Raubmord war es jedenfalls nicht.«
    »Wieso?«
    »Schauen Sie! Der Geldschrank ist nicht abgeschlossen, aber der Tote sitzt unmittelbar davor, so daß man die Tür nicht öffnen kann!«
    Nine, die ein kleines Taschentuch aus ihrer Handtasche gezogen hatte, schniefte und tupfte sich die Nase ab.
    Einen Augenblick später änderte sich die Atmosphäre. Draußen hörte man Autos bremsen. Schritte und Stimmen im Hof, dann Händeschütteln, Fragen, lärmende Gespräche. Die Staatsanwaltschaft war da. Der Gerichtsmediziner untersuchte die Leiche, und die Fotografen bauten ihre Apparate auf.
    Für Maigret war dies ein unangenehmer Moment. Nach ein paar unumgänglichen Erläuterungen ging er in den Hof, die Hände in den Taschen, zündete sich eine Pfeife an und stieß im Dunkeln mit jemandem zusammen. Es war die Concierge, die es nicht über sich brachte, Fremde in ihrem Haus herumlaufen zu lassen, ohne sich um ihr Treiben zu kümmern.
    »Wie war doch gleich Ihr Name?« fragte Maigret freundlich.
    »Madame Bourcier … Werden die Herren lange bleiben? Sehen Sie! Im Zimmer von Madame de Saint-Marc brennt kein Licht mehr. Sie muß eingeschlafen sein, die Ärmste …«
    Der Kommissar betrachtete das Haus und bemerkte ein anderes Licht, einen crèmefarbenen Vorhang und dahinter die Silhouette einer Frau. Sie war klein und hager, wie die Concierge. Man konnte ihre Stimme nicht hören, aber das war auch nicht nötig, um zu erkennen, daß sie außer sich vor Wut war. Bisweilen blieb sie starr und unbeweglich stehen und fixierte jemanden, den man nicht sehen konnte. Dann sprach sie wieder auf ihn ein, gestikulierte dabei und ging einige Schritte nach vorn.
    »Wer ist das?«
    »Madame Martin. Sie haben vorhin ihren Mann nach Hause kommen sehen. Sie wissen doch: der, der seinen Mülleimer mit hochgenommen hat. Der Registerbeamte …«
    »Haben die beiden häufiger Streit?«
    »Sie streiten nicht … Sie allein ist es, die ihn anschreit. Er wagt nicht einmal den Mund aufzumachen.«
    Von Zeit zu Zeit warf Maigret einen Blick zum Büro hin, in dem fast ein Dutzend Leute herumliefen. Von der Türschwelle aus rief der Untersuchungsrichter die Concierge zu sich.
    »Wer ist, nach Monsieur Couchet, für die Leitung der Firma verantwortlich?«
    »Der Geschäftsführer, Monsieur Philippe. Er wohnt nicht weit von hier, auf der Ile Saint-Louis …«
    »Ist er telefonisch zu erreichen?«
    »Gewiß …«
    Man hörte, wie am Telefon gesprochen wurde. Gegenüber, eine Etage höher, war Madame Martin nicht mehr hinter dem Vorhang zu sehen. Statt dessen kam eine unscheinbare Gestalt die Treppe herunter, überquerte hastig den Hof
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