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Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel
Autoren: Georges Simenon
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Ein Mann mit steifem Hut erschien im Hof, wandte sich nach links, ging zu den Müllkästen und ergriff einen leeren Mülleimer. Trotz der Dunkelheit mußte er Maigret und die Concierge bemerkt haben, denn er blieb einen Augenblick lang unbeweglich stehen und fragte schließlich:
    »Nichts für mich?«
    »Nichts, Monsieur Martin …«
    »Wer war das?« fragte Maigret.
    »Ein Beamter der Registerbehörde, Monsieur Martin. Er wohnt mit seiner Frau im zweiten Stock.«
    »Und wieso stand sein Abfalleimer …?«
    »So machen es fast alle, wenn sie wegmüssen. Beim Hinausgehen nehmen sie den Abfall mit, und wenn sie zurückkommen, nehmen sie den Mülleimer wieder hoch … Da, haben Sie das gehört?«
    »Was?«
    »Ich glaube, das hört sich wie ein Schreien an … Wenn die beiden da oben nur endlich ihren verdammten Plattenspieler abstellen würden! Die wissen nämlich genau, daß Madame de Saint-Marc ein Kind bekommt …«
    Jemand kam die Treppe herab. Sie stürzte zum Treppenhaus.
    »Nun, Doktor? Was ist es, ein Junge?«
    »Ein Mädchen.«
    Und der Arzt ging an ihnen vorbei. Man hörte, wie er seinen Wagen startete und davonfuhr.
    Im Haus nahm das alltägliche Leben seinen Fortgang. Der dunkle Hof. Die Toreinfahrt mit ihrer erbärmlichen Glühbirne. Licht in einigen Fenstern. Die gedämpfte Musik des Plattenspielers.
    Der Tote saß immer noch in seinem Büro, ganz allein, mit dem Kopf auf den verstreuten Papieren.
    Plötzlich ein Schrei im zweiten Stock. Ein durchdringender Schrei, wie ein verzweifelter Hilferuf. Aber die Concierge zuckte nicht zusammen, sondern seufzte nur, während sie die Tür zu ihrer Loge aufstieß:
    »Auch das noch. Schon wieder die Verrückte …«
    Sie fing ihrerseits an zu schreien, weil eines der Kinder einen Teller zerbrochen hatte. Im Lichtschein sah Maigret ein hageres, abgespanntes Gesicht, eine Figur ohne Alter.
    »Wann wird das anfangen mit den Formalitäten und so weiter?« fragte sie.
    Der Tabakladen gegenüber hatte noch geöffnet, und einige Minuten später zog Maigret die Tür der Telefonkabine hinter sich zu. Auch er sprach halblaut, als er seine Anweisungen durchgab.
    »Ja … Die Staatsanwaltschaft … Nummer 61, fast an der Ecke der Rue de Turenne … Und der Erkennungsdienst soll verständigt werden … Hallo? … Ja, ich bleibe am Tatort …«
    Er kehrte über die Straße zurück, ging gedankenverloren unter der Toreinfahrt hindurch und blieb schließlich in der Mitte des Hofes stehen, mürrisch und mit vor Kälte hochgezogenen Schultern.
    Die Lichter in den Fenstern gingen eines nach dem anderen aus. Der Tote zeichnete sich immer noch als Silhouette auf dem Mattglasfenster ab.
    Ein Taxi hielt. Es war noch nicht die Staatsanwaltschaft. Eine junge Frau ging mit eiligen Schritten über den Hof und ließ eine Parfumwolke zurück. Sie stieß die Tür zum Büro auf.
    2
    Ein feiner Kerl
    E
    s kam zu einer Kette von Fehlreaktionen, die zu einer absurden Situation führten. Die junge Frau entdeckte die Leiche und wirbelte herum. Im Türrahmen erblickte sie die massige Gestalt Maigrets. Automatisch reimte sie zusammen, was sie sah: hier die Leiche, dort der Mörder.
    Sie hatte die Augen weit aufgerissen, zuckte zusammen, ließ ihre Handtasche fallen und wollte um Hilfe schreien.
    Maigret hatte keine Zeit für lange Erklärungen. Er griff nach ihrem Arm und preßte ihr die Hand vor den Mund.
    »Pst! Sie irren sich! Polizei …«
    Sie begriff nicht sofort und sträubte sich verzweifelt, versuchte zu beißen und trat mit ihren Absätzen nach hinten aus.
    Das Geräusch reißender Seide: der Träger des Kleides.
    Schließlich wurde sie ruhiger. Maigret wiederholte:
    »Keinen Lärm … Ich bin von der Polizei. Es hat keinen Zweck, das ganze Haus aufzuscheuchen …«
    Das war das Eigenartige dieses Verbrechens: die für derartige Fälle ungewöhnliche Stille und Ruhe, während für achtundzwanzig Mieter der Alltag weiterging – mit einer Leiche in ihrer Mitte.
    Die junge Frau strich ihr Kleid wieder glatt.
    »Waren Sie seine Geliebte?«
    Sie warf Maigret einen kratzbürstigen Blick zu, während sie nach einer Nadel suchte, um ihren Träger festzustecken.
    »Waren Sie heute abend mit ihm verabredet?«
    »Um acht, im Select … Wir wollten zusammen essen gehen und anschließend ins Theater …«
    »Und als er um acht Uhr nicht kam, haben Sie da nicht versucht, ihn anzurufen?«
    »Ja, aber es war die ganze Zeit besetzt.«
    Beide sahen gleichzeitig den Hörer auf dem Schreibtisch liegen. Der Mann
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