Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
und ging auf die Straße hinaus. Maigret erkannte den steifen Hut und den hellgrauen Mantel von Monsieur Martin.
    Es war Mitternacht. Die Mädchen mit dem Plattenspieler löschten das Licht. Außer den Büroräumen war nur noch der Salon der Saint-Marcs im ersten Stock erleuchtet, wo der ehemalige Botschafter und die Hebamme inmitten eines abgestandenen Klinikgeruches saßen und sich halblaut unterhielten.
     
    Als Monsieur Philippe eintraf, war er trotz der späten Stunde wie aus dem Ei gepellt, der braune Bart sorgfältig gestutzt, mit Handschuhen aus grauem Schweinsleder. Er war ein Mann um die vierzig, der Prototyp des seriösen Akademikers aus gutem Hause.
    Natürlich überraschte, ja bestürzte ihn die Nachricht. Aber er blieb kühl und reserviert.
    »Bei dem Leben, das er führte …« seufzte er.
    »Was für ein Leben?«
    »Ich würde niemals etwas Schlechtes über Monsieur Couchet sagen. Außerdem gibt es nichts Schlechtes zu berichten. Wie er seine Zeit verbrachte, geht niemanden etwas an …«
    »Einen Moment! Hat Monsieur Couchet die Firma selbst geleitet?«
    »Weder im Großen noch im Kleinen. Er hat sie allein aufgebaut. Aber sobald die Geschäfte liefen, hat er mir die ganze Verantwortung überlassen. Das ging so weit, daß ich ihn manchmal vierzehn Tage lang nicht zu Gesicht bekam. Heute zum Beispiel habe ich noch bis um fünf auf ihn gewartet. Morgen ist Ultimo. Monsieur Couchet sollte mir noch das Geld für die Gehälter der Belegschaft bringen, ungefähr dreihunderttausend Francs. Um fünf Uhr mußte ich fort und habe ihm einen Bericht auf den Schreibtisch gelegt.«
    Man fand den maschinengeschriebenen Zettel unter der Hand des Toten. Ein banaler Bericht: Vorschläge, das Gehalt eines der Angestellten zu erhöhen und einen der Laufburschen zu entlassen; ein Werbeprojekt für die lateinamerikanischen Länder, usw.
    »Die dreihunderttausend Francs müßten also hier sein?« fragte Maigret.
    »Ja, im Geldschrank. Wie Sie sehen, hat Monsieur Couchet ihn geöffnet. Nur er und ich haben den Schlüssel und kennen die Kombination.«
    Um die Tresortür zu öffnen, mußte man erst die Leiche zur Seite schaffen, und sie warteten, bis die Fotografen ihre Arbeit beendet hatten. Der Gerichtsmediziner diktierte seinen Bericht. Die Kugel hatte Couchet in die Brust getroffen und die Aorta durchschlagen. Der Tod war sofort eingetreten. Der Abstand zwischen dem Mörder und seinem Opfer konnte auf drei Meter geschätzt werden. Und das Geschoß war vom gebräuchlichsten Kaliber: 6,35 mm.
    Monsieur Philippe gab dem Untersuchungsrichter einige Erläuterungen.
    »Hier an der Place des Vosges befinden sich unsere Laboratorien, gleich hinter diesem Büro.«
    Er öffnete eine Tür, die in einen großen Raum mit einem Glasdach führte, in dem Tausende von Reagenzgläsern aneinandergereiht waren. Hinter einer anderen Tür glaubte Maigret ein Geräusch gehört zu haben.
    »Und was ist dort?«
    »Die Meerschweinchen … Und hier auf der rechten Seite die Büros der Angestellten und Schreibkräfte. Wir haben weitere Räume in Pantin, wo sich das Auslieferungslager befindet. Sie wissen sicherlich, daß Dr. Rivières Seren in der ganzen Welt bekannt sind.«
    »Hat Couchet sie auf den Markt gebracht?«
    »Ja! Dr. Rivière hatte kein Geld. Couchet hat seine Forschungsarbeiten finanziert. Vor ungefähr zehn Jahren hat er ein Laboratorium aufgebaut, das allerdings noch nicht so groß war wie dieses …«
    »Ist Dr. Rivière noch an der Firma beteiligt?«
    »Er ist vor fünf Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.«
    Man schaffte schließlich Couchets Leiche fort, und als man die Tresortür öffnete, gab es eine Überraschung: von dem Geld, das er enthalten hatte, war nichts mehr zu sehen. Nur noch einige Geschäftspapiere lagen in den Fächern. Monsieur Philippe erklärte:
    »Nicht nur die dreihunderttausend Francs, die Monsieur Couchet mitgebracht haben muß, sind verschwunden, sondern auch noch sechzigtausend Francs, die heute nachmittag eingegangen sind und die ich mit einem Gummiband darum selbst in dieses Fach gelegt habe!«
    In der Brieftasche des Toten fand man auch nichts, bis auf zwei numerierte Karten für ein Theater an der Madeleine, bei deren Anblick Nine in Tränen ausbrach.
    »Die waren für uns! Wir wollten zusammen dort hingehen …«
    Das war alles. Die Unordnung war noch größer geworden. Die Fotografen klappten ihre sperrigen Stative zusammen. Der Gerichtsmediziner wusch sich die Hände in einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher