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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen
Autoren: Georges Simenon
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und beleuchtete nur einen Kreis von zwei Metern Durchme s ser auf dem Fußboden.
    »Ich muß Sie erst noch etwas fragen«, sagte Maigret. »Wer hat das Geld zur Verfügung gestellt? Es mußte sehr schnell gehen, nicht wahr, Sie mußten die Summe innerhalb weniger Minuten zusammenbringen. Die Bank war geschlossen. So große Summen haben Sie sicherlich nicht im Haus. Telefon haben Sie auch nicht …«
    Die Zeit verging schleppend. Die Stille um sie herum war deutlicher als sonst zu spüren.
    Maigret fuhr fort, diese ruhige, kleinbürgerliche Atmosphäre einzuatmen. Von unten drang leises Stimmengemurmel herauf: Dr. van de Weert, der seine kurzen Beine zum Ofen ausstreckte, Joseph und Marguerite, die sich wortlos in die Augen sahen, Machère, der sichtlich ungeduldig wurde, und Madame Peeters, die irgendeine Nä h arbeit zur Hand nahm oder die Gl ä ser noch einmal mit Genever füllte.
    Aber der Kommissar blickte noch immer in die hellen Augen Annas, die schließlich hervorbrachte:
    »Marguerite hat es beschafft …«
    »Hatte sie das Geld zu Hause?«
    »Geld und Wertpapiere. Sie verwaltet den Teil des Vermögens, den sie von ihrer Mutter geerbt hat, selbst.«
    Und Anna wiederholte:
    »Was werden Sie tun?«
    Im gleichen Moment, in dem sie dies sagte, wurden ihre Augen feucht, aber das war so rasch wieder vorüber, daß Maigret nicht sicher war, ob er sich getäuscht hatte.
    »Und Sie?«
    Die Tatsache, daß diese Frage unablässig wiederkehrte, bewies, daß sie beide, einer wie der andere, Angst hatten, das Hauptthema anzuschneiden.
    »Wie haben Sie Germaine Piedbœuf in Ihr Zimmer gelockt? Warten Sie … Antworten Sie jetzt noch nicht. Sie ist an jenem Abend von allein gekommen, um sich nach Joseph zu erkundigen und um den Unterhalt für das Kind zu verlangen. Ihre Mutter hat sie empfangen. Dann sind auch Sie in den Laden gegangen. Wußten Sie, daß Sie sie töten würden?«
    »Ja.«
    Keine Erregung mehr, keine Panik. Eine klare, feste Stimme.
    »Seit wann?«
    »Seit ungefähr einem Monat.«
    Maigret setzte sich auf die Kante des Bettes der beiden Mädchen, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und betrachtete die Tapete, die seinem Gegenüber als Hintergrund diente.
    Man hätte jetzt glauben können, daß sie stolz auf ihre Tat war. Sie übernahm die ganze Verantwortung dafür. Sie machte sogar geltend, vorsätzlich und planmäßig g e handelt zu haben.
    »Lieben Sie Ihren Bruder so sehr?«
    Er wußte es. Und das war nicht nur bei Anna der Fall. Lag es daran , daß der alte Peeters für seine Umgebung schon seit langem nicht mehr zählte? Jedenfalls brachten die drei Frauen, seine Mutter und seine beiden Schwestern, dem jungen Mann eine grenzenlose Bewunderung entgegen, die im Falle Annas fast schon zweideutige G e danken aufkommen ließ.
    Er war nicht schön. Seine Züge waren unregelmäßig. Seine lange, dürre Gestalt , seine große Nase und seine müden Augen drückten Langeweile und Überdruß aus.
    Und dennoch war er für sie ein Gott! Und auch Marguerite liebte ihn wie einen Gott! Das war beinahe schon ein kollektiver Wahn, und man konnte sich die beiden Schwestern, die Mutter und die Kusine vorstellen, wie sie ganze Nachmittage damit verbrachten, von ihm zu sprechen …
    »Ich wollte nicht, daß er sich umbringt!«
    Plötzlich hätte Maigret beinahe die Wut gepackt. Aber er beherrschte sich und begann mit großen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen.
    »Hat er das gesagt?«
    »Wenn er Germaine hätte heiraten müssen, hätte er sich am Hochzeitsabend aufgehängt …«
    Er lachte nicht, zuckte aber heftig die Schultern. Er erinnerte sich daran , was Joseph ihm kurz zuvor anvertraut hatte. Joseph, der nicht einmal mehr wußte, wen er liebte! Joseph, der fast ebensoviel Angst vor Marguer i te wie vor Germaine Piedbœuf hatte!
    Nur um seine Schwestern zu beeindrucken und sich ihre Bewunderung zu erhalten, hatte er romantische Anwandlungen vorgespielt.
    »Sein Leben war zerstört …«
    Wie gut dies alles zu Solveigs Lied paßte!
     
    Mein holder Verlobter,
    gewiß, du wirst mein …
     
    Sie waren alle darauf hereingefallen! Sie hatten sich an Musik, Poesie und Treueschwüren berauscht.
    Und wie hold er war, der Verlobte, mit seinen schlecht sitzenden Anzügen und seinen kurzsichtigen Augen!
    »Hatten Sie mit irgendwem über Ihr Vorhaben gesprochen?«
    »Mit niemandem.«
    »Auch nicht mit ihm?«
    »Mit ihm erst recht nicht!«
    »Und Sie hatten den Hammer seit einem Monat in Ihrem Zimmer? Warten Sie! Ich beginne
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