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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen
Autoren: Georges Simenon
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zu stören.
     
    Ich hah’ es versprochen,
    ich harre treulich dein …
     
    Marguerite konnte die düstere Silhouette Josephs nicht sehen, der seine Zigarette hatte ausgehen lassen.
    Jetzt, wo die Nacht hereinbrach, überzog das Kaminfeuer alle Möbel, vor allem die lackierten Tischbeine, mit einem tiefroten Schimmer.
    Zur Verblüffung Machères, der sich nicht zu rühren wagte, schlich Maigret sich mit einer so behutsamen Bewegung aus dem Zimmer, daß niemand sonst es merkte. Er stieg die Treppe hinauf , ohne auch nur eine Stufe knarren zu lassen, und stand vor zwei geschlossenen Türen.
    Der Treppenabsatz lag schon fast völlig im Dunkeln. Nur die Türknäufe bildeten zwei milchige Flecke, denn sie waren aus Porzellan.
    Schließlich steckte der Kommissar seine noch brennende Pfeife in die Tasche, drehte einen Türknauf, ging hinein und zog die Tür geräuschlos zu.
    Anna war in ihrem Zimmer. Durch die Vorhänge wirkte der Raum noch dunkler als das Eßzimmer, als ob ein grauer Staub darin schwebte, der stellenweise u n durchsichtig schien, besonders in den Ecken.
    Anna bewegte sich nicht. Hatte sie ihn nicht gehört?
    Sie stand am Fenster, im Gegenlicht, und blickte auf die Uferlandschaft der Maas, die in der Dämmerung versank. Am gegenüberliegenden Ufer hatte man schon die Laternen angezündet, die mit ihren scharf begren z ten Lichtkegeln das Halbdunkel zerteilten.
    Von hinten sah es aus, als ob Anna weinte. Sie war groß. Sie erschien noch kräftiger, noch mehr wie ein Standbild als je zuvor.
    Ihr graues Kleid schien mit der Umgebung zu verschmelzen.
    Eine Fußbodendiele, eine einzige, knarrte in dem Augenblick, als Maigret nur noch einen Schritt von Anna entfernt war, aber das Geräusch ließ sie nicht zusa m menfahren.
    Er legte ihr mit überraschender Sanftheit die Hand auf die Schulter und seufzte dabei wie jemand, der sich endlich einem anderen Menschen anvertrauen kann:
    »Da sind Sie ja …«
    Sie drehte sich ganz zu ihm herum . Sie war ruhig. Nicht ein Fältchen störte die strenge Harmonie ihrer Gesichtszüge.
    Lediglich der Hals schwoll ein wenig an, langsam und wie von einem mysteriösen inneren Druck …
    Die Töne des Klaviers drangen deutlich herauf, und man konnte jede Silbe von Solveigs Lied verstehen:
     
    Gott helfe dir, wenn du
    die Sonne noch siehst …
     
    Zwei helle Augen suchten die Augen Maigrets, während Annas Lippen sich einen Moment lang wie zu einem Aufschluchzen verzogen und sofort wieder ebenso starr wurden wie ihre ganze Gestalt .
    10
    Solveigs Lied
    W
    as tun Sie hier?«
    Seltsamerweise klang ihre Frage nicht aggressiv. Anna sah Maigret verdrossen an, vielleicht auch e r schreckt, aber ohne Haß.
    »Sie haben gehört, was ich vorhin gesagt habe. Ich reise heute abend ab. Wir haben einige Tage in ziemlich engem Kontakt miteinander verbracht …«
    Er blickte sich um und betrachtete das Bett der beiden jungen Mädchen, das Eisbärfell, das ihnen als Bet t vorleger diente, die Tapete mit ihren kleinen rosa Blumen und den Spiegelschrank, der nur noch die Schatten der Nacht zurückwarf.
    »Ich wollte nicht abreisen, ohne ein letztes Mal mit Ihnen gesprochen zu haben …«
    Das Rechteck des Fensters sah aus wie eine Leinwand, auf der sich die Silhouette Annas von Minute zu Minute undeutlicher abzeichnete. Maigret bemerkte ein Detail, das er bisher nicht wahrgenommen hatte. Noch vor e i ner Stunde hätte er nicht sagen können, welche Frisur sie trug. Nun wußte er es. Ihre langen, straff g e flochtenen Haare lagen wie ein schwerer Kranz um ihren Na c ken.
    »Anna!« rief Madame Peeters unten im Flur.
    Das Klavier war verstummt. Man hatte gemerkt, daß die beiden verschwunden waren.
    »Ja! Ich bin hier oben …«
    »Hast du den Kommissar gesehen?«
    »Ja! Wir kommen herunter …«
    Um zu antworten, war sie bis zur Tür gegangen. Sie kam wieder zurück und sah Maigret ernst an, mit dramatisch starrem Blick.
    »Was haben Sie mir zu sagen?«
    »Das wissen Sie ganz genau!«
    Sie wandte den Kopf nicht ab, sondern sah ihn weiter eindringlich an. Ihre Haltung, mit den vor dem Bauch gefalteten Händen, glich der einer alten Frau.
    »Was werden Sie tun?«
    »Ich sagte es schon: nach Paris zurückfahren.«
    Jetzt verschleierte sich ihre Stimme doch.
    »Und ich?«
    Es war das erste Mal, daß man ihr eine Gefühlsbewegung ansah. Sie merkte es selbst. Sie ging zum Schalter und machte das Licht an, vermutlich, um ihre Verwi r rung zu überspielen.
    Die Lampe hatte einen Schirm aus gelber Seide
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