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Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Titel: Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen
Autoren: Georges Simenon
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sein wie ausgeprägte Dummheit, wenn die Intelligenz nicht mit einer gewissen Charakterstärke einhergeht. Wie dem auch sei! Ich weiß genau, was ich sagen will, auch wenn ich nicht die richtigen Worte finde.
    Im Übrigen gehört das auch gar nicht in mein Fachgebiet. Dafür sind die Ärzte und Psychiater zuständig.
    Ich bin mir fast sicher, dass er ein Idealist ist, der nicht in der Lage war, seinem Ideal gemäß zu leben. Versteht ihr das?«
    Vielleicht nicht so ganz! Selten hatte Maigret so viel und gleichzeitig so verworren geredet.
    »Er wäre gern ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Mann gewesen. Er wollte möglichst schnell Erfolg haben und dennoch sich selber treu bleiben.«
    Maigret hielt entmutigt inne, denn er spürte, wie sehr seine Worte seinen Gedanken hinterherhinkten.
    »In ihm stecken sehr gute und sehr schlechte Eigenschaften. Vermutlich hat er Carus gehasst, weil er von ihm abhängig war. Trotzdem ließ er sich von ihm zum Essen einladen und pumpte ihn hemmungslos an.
    Er hat sich deswegen geschämt und konnte sich selber nicht leiden.
    Er war klug genug, zu wissen, dass Sophie keineswegs die Frau war, die er in ihr sehen wollte. Aber auch sie brauchte er. Letzten Endes hat er sogar ihr Verhältnis mit Carus ausgenutzt.
    Das wollte und konnte er sich nicht eingestehen.
    Darum hat er auch auf seine Frau geschossen. Schon als sie an jenem Mittwochabend in den Hof gekommen sind, hatten sie Streit. Aus welchem Anlass, ist völlig nebensächlich. Vermutlich war sie es leid, dass er eine so widersprüchliche Rolle spielte, und bestimmt hat sie ihm die Wahrheit ins Gesicht gesagt.
    Es würde mich gar nicht wundern, wenn sie ihn einen Zuhälter geschimpft hätte. Vielleicht stand die Schublade halb offen. Jedenfalls konnte er es nicht zulassen, dass ihn jemand so schonungslos mit der Wahrheit konfrontierte.
    Er hat also geschossen. Dann erschrak er selbst über das, was er getan hatte, und malte sich die Folgen aus.
    In diesem Moment, davon bin ich überzeugt, hat er sich geschworen, dass er sich nicht aburteilen lassen würde. Und dann fing es in ihm zu arbeiten an, dann hat er sich einen komplizierten Plan ausgedacht, während er durch die Straßen geirrt ist.
    Sein Plan war so kompliziert, dass er beinahe gelungen wäre.
    Er geht noch einmal ins ›Vieux-Pressoir‹ zurück. Er fragt nach Carus. Er sagt, dass er auf der Stelle zweitausend Franc braucht, und er weiß genau, dass Bob ihm eine so hohe Summe nicht leihen wird.
    Die Waffe hat er bereits in die Seine geworfen, um die Frage der Fingerabdrücke aus der Welt zu schaffen.
    Mehrmals erkundigt er sich ostentativ im ›Club Zéro‹, ob denn Carus immer noch nicht eingetroffen sei. Er trinkt, läuft endlos lange durch die Straßen, feilt und feilt an seinem Plan.
    Tatsächlich hat er nicht genug Geld, um zu flüchten, aber auch wenn er es hätte, würde es ihm nichts nützen, denn früher oder später würde er doch ausgeliefert werden.
    Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als in die Rue Saint-Charles zurückzukehren und so zu tun, als ob er die Leiche eben gerade dort gefunden hätte, und die Polizei zu alarmieren.
    Da falle ich ihm plötzlich wieder ein.
    Er spielt mir etwas vor, so perfekt, wie es sich ein normaler Mensch niemals ausdenken könnte. Alle Teile seines Plans greifen ineinander. Sein nächtliches Umherirren erweist sich als nützlich.
    Schon am frühen Morgen lauert er mir an meiner Haustür auf. Wenn ich nicht mit dem Bus gefahren wäre, hätte er sicher eine Ersatzlösung auf Lager gehabt.
    Er klaut mir meine Brieftasche, dann ruft er mich an und zieht eine Schau ab, die jeden Verdacht von ihm ablenken muss.
    Aber dann übertreibt er es! Er erzählt mir in allen Einzelheiten, was Sophie angeblich im ›Vieux-Pressoir‹ gegessen hat. Es fehlt ihm einfach an gesundem Menschenverstand. Er ist durchaus imstande, eine ausgefallene Geschichte zu erfinden und sie glaubhaft darzustellen, übersieht aber die einfachsten, alltäglichen Details.«
    »Glauben Sie, dass er vor ein Schwurgericht kommt, Chef?«, fragte Lapointe.
    »Das hängt von den Gutachten der Psychiater ab.«
    »Wie würden Sie entscheiden?«
    »Ich würde ihn vor das Schwurgericht bringen.«
    Da seine beiden Mitarbeiter sich über eine so kategorische Antwort wunderten, die so gar nicht zum Kommissar passte, sagte dieser:
    »Es wäre für ihn gar zu schrecklich, als verrückt oder auch nur als beschränkt zurechnungsfähig hingestellt zu werden. Auf der Anklagebank
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