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Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Titel: Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen
Autoren: Georges Simenon
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aus, während Francis in eine andere Richtung blickte.
    »Ich konnte ihn doch jetzt nicht hängenlassen … Wenn ich am Mittwoch in Paris gewesen wäre, wäre vielleicht gar nichts geschehen … Ich hätte hier zu Abend gegessen … Er hätte mich gebeten, ihm das Geld für die Miete vorzustrecken, und Sophie wäre nicht allein zu Hause geblieben …«
    Maigret fuhr zusammen, sprach im Geiste den Satz nach und blickte noch einmal in ihre Gesichter.
    »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich muss jetzt aufbrechen.«
    Er brauchte unbedingt frische Luft, denn hier erstickte er. Oder hatte er auch zu viel getrunken? Jedenfalls ließ er das riesige, noch halbvolle Glas Armagnac stehen.
    Ziellos, mit den Händen in den Hosentaschen, lief er den Gehsteigen entlang, blickte in die noch erleuchteten Schaufenster. Vor allem junge Ehepaare blieben vor den Auslagen stehen, um die Waschmaschinen und Fernsehgeräte zu bewundern. Sie fingen gleich an zu rechnen und zu träumen.
    »Hundert Franc monatlich, Louis …«
    »Plus die zweihundertfünfzig Franc für das Auto.«
    Sicher waren auch Francis und Sophie so Arm in Arm durch das Viertel spaziert.
    Hatten sie auch von Waschmaschinen und Fernsehern geträumt?
    Ein Auto besaßen sie ja schon, den alten vergammelten Triumph, den Ricain während der schlimmen Nacht von Mittwoch auf Donnerstag irgendwo stehenlassen hatte. Wo befand sich der Wagen jetzt?
    Mit dem Scheck, den er eben erhalten hatte, würde er seine Miete bezahlen können … Würde er überhaupt noch in der Wohnung wohnen wollen, in der seine Frau ermordet worden war?
    Maigret überquerte den Boulevard. Ein alter Mann schlief auf einer Bank. Der große neue Wohnblock ragte vor ihm auf. Etwa die Hälfte der Fenster war erleuchtet.
    Die anderen Mieter waren im Kino oder bei Freunden, andere saßen vielleicht noch in einem Restaurant, genau wie die Clique im ›Vieux-Pressoir‹.
    Die Luft war mild, aber bald würden schwarze Wolken den Vollmond verdecken.
    Maigret bog in die Rue Saint-Charles ein und betrat den Hof.
    Hinter einem kleinen Fenster mit einer Milchglasscheibe, gleich neben der Eingangstür zu Ricains Wohnung, brannte Licht. Es war das Fenster zum Bad mit der Sitzbadewanne.
    Weitere Türen, weitere erleuchtete Fenster, sowohl auf dieser Seite, wo sich die Einzimmerwohnungen befanden, als auch am Hauptgebäude …
    Menschenleer und totenstill der Hof, ordentlich aufgereihte Mülltonnen, eine Katze, die den Mauern entlangstrich …
    Dann und wann wurde ein Fenster geschlossen, eine Lampe ausgemacht. Manche Leute gingen eben früh zu Bett. Im vierten Stock flammte ein Licht auf. Das sah so aus, als ob Sterne am Himmel aufleuchten oder verschwinden würden.
    Hinter der Jalousie glaubte er die füllige Gestalt von Jocelyne zu erkennen, den zerzausten Haarkranz des Fotografen.
    Sein Blick schweifte vom vierten Stock zum Parterre.
    »So etwa gegen zehn Uhr …«
    Er hatte den Ablauf der Ereignisse genau im Kopf. Die Huguets aßen im ›Vieux-Pressoir‹ zu Abend, und da sie keine Bekannten antrafen, zog sich die Mahlzeit wohl kaum in die Länge. Wann genau waren sie nach Hause gekommen?
    Ricain und Sophie schlossen gegen zehn Uhr ihre Wohnungstür auf und machten Licht. Gleich darauf ging Francis noch einmal weg …
    Immer noch sah Maigret die beiden Silhouetten im vierten Stock kommen und gehen, dann blieb nur noch eine, der Fotograf … Dieser öffnete das Fenster, betrachtete eine Weile den Himmel … Als er sich gerade wieder wegdrehen wollte, blickte er unwillkürlich in den Hof hinunter … Jetzt musste er das erleuchtete Fenster von Ricains Wohnung sehen und auch den Kommissar, dessen Gestalt sich deutlich im Mondlicht abzeichnete.
    Maigret klopfte seine Pfeife an seinem Schuhabsatz aus und betrat das Gebäude. Da er vom Hof kam, brauchte er nicht an der Concierge vorbeizugehen. Er trat in den Aufzug, drückte auf den Knopf zum vierten Stock. Oben fand er sich nicht sogleich in den Gängen zurecht.
    Als er bei Huguet anklopfte, öffnete dieser sogleich, als hätte er seinen Besuch erwartet.
    »Sie sind es!«, sagte er mit seltsamem Lächeln. »Meine Frau geht gerade zu Bett … Möchten Sie reinkommen, oder soll ich Sie nach unten begleiten?«
    »Wir gehen vielleicht besser nach unten.«
    »Einen Moment, bitte … Ich sage Jocelyne Bescheid und hole meine Zigaretten …«
    Maigret konnte in das unaufgeräumte Wohnzimmer sehen, wo das Kleid, das Jocelyne am Abend getragen hatte, zerknüllt auf einem Sessel
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