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Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Titel: Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen
Autoren: Georges Simenon
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Temple gab es sogar Wittlinge! Die hatte er schon lange nicht mehr gegessen! Wie kam es nur, dass in seiner Vorstellung sogar Wittlinge etwas Frühlingshaftes an sich hatten?
    Alles war frühlingshaft, heiter wie seine Stimmung, auch wenn die Frau mit dem Huhn im Netz starr vor sich hin blickte und irgendwelche Probleme wälzte, von denen ein gewöhnlicher Sterblicher keine blasse Ahnung hatte.
    »Pardon …«
    »Schon gut …«
    Er traute sich nicht, ihr zu sagen:
    ›Jetzt setzen Sie sich doch endlich rein, statt allen Leuten hier draußen auf den Wecker zu fallen!‹
    Dieselben Gedanken las er in den blauen Augen eines dicken Mannes, der zwischen ihm und dem Kontrolleur eingekeilt war. Sie waren sich einig. Auch der Kontrolleur hob unmerklich die Schultern. Eine Art Geheimbund unter Männern! Das war sehr unterhaltsam!
    Die Auslagen, vor allem die der Gemüseläden, quollen bis auf die Gehsteige über. Der weiß-grüne Bus bahnte sich einen Weg durch das Gedränge der Hausfrauen, Sekretärinnen und Angestellten, die in ihre Büros hasteten. Das Leben war schön.
    Wieder wurde er durchgerüttelt, wieder schlug ihm das Einkaufsnetz mit den harten Klumpen, Kartoffeln oder was auch immer, gegen die Beine. Beim Zurückweichen stieß er seinen Hintermann an.
    »Pardon …«
    Jetzt murmelte er eine Entschuldigung. Er schaffte es kaum, sich umzudrehen, und nahm nun einen ziemlich jungen Mann wahr, dessen Gesichtsausdruck er nicht zu deuten wusste.
    Er war höchstens fünfundzwanzig. Er trug keinen Hut, hatte strubbeliges braunes Haar und unrasierte Wangen. Er sah aus wie einer, der nachts kein Auge zugetan und schlimme Stunden hinter sich hatte.
    Er drängte sich zum Trittbrett vor und sprang vom fahrenden Bus ab. In diesem Moment hatten sie die Rue Rambuteau erreicht. Von den Markthallen drang würziger Geruch bis zu ihnen. Der Mann rannte davon, drehte sich um, als fürchte er sich vor etwas, und verschwand in der Rue des Blancs-Manteaux.
    Unwillkürlich tastete Maigret seine Gesäßtasche ab, wo er normalerweise seine Brieftasche verstaute.
    Er war drauf und dran, auch vom Bus abzuspringen, denn die Brieftasche war verschwunden!
    Das Blut schoss ihm ins Gesicht, aber es gelang ihm, Ruhe zu bewahren. Nur der dicke blauäugige Mann schien bemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte.
    Maigret verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln, nicht so sehr, weil er einem Taschendieb aufgesessen war, sondern weil er keine Möglichkeit hatte, ihn zu verfolgen.
    Daran war der Frühling schuld, die betörende Luft, die ihn schon seit gestern ein wenig benebelte.
    Eine weitere feste Gewohnheit, beinahe schon eine Manie seit Kindertagen: die Schuhe. Jedes Jahr kaufte er sich in den ersten Frühlingstagen ein Paar Schuhe, die so leicht wie möglich sein mussten. Genau das hatte er am Tag zuvor getan.
    An diesem Morgen hatte er sie zum ersten Mal angezogen. Sie drückten ihn. Schon allein das Stück Weg auf dem Boulevard Richard-Lenoir hatte sich als reine Tortur erwiesen, und er war heilfroh gewesen, als er die Bushaltestelle am Boulevard Voltaire erreichte.
    Er wäre unfähig gewesen, hinter seinem Dieb herzulaufen. Außerdem hatte dieser inzwischen Zeit genug gehabt, um in den engen Gassen des Marais-Viertels unterzutauchen.
    »Pardon, Monsieur …«
    Schon wieder die mit ihrem Einkaufsnetz! Er war drauf und dran, sie anzufauchen:
    ›Lassen Sie uns doch endlich mit Ihren Kartoffeln in Frieden!‹
    Doch er nickte ihr zu und lächelte.
     
    Auch sein Büro wurde vom milden Licht des Vorfrühlings durchflutet, und über der Seine schwebte ein zarter Dunst, viel feiner als Nebel, in dem Milliarden von silbrigen, lebendigen Lichtern schimmerten, wie es sie nur in Paris gibt.
    »Alles in Ordnung, Chef? Was gibt’s Neues?«
    Janvier trug einen hellen Anzug, den Maigret noch nie an ihm gesehen hatte. Auch er feierte den vorzeitigen Frühlingsbeginn, denn es war erst der 15. März.
    »Nein, nichts. Oder doch! Eben bin ich bestohlen worden.«
    »Ihre Uhr?«
    »Nein, meine Brieftasche.«
    »Auf der Straße?«
    »Auf der Plattform des Busses.«
    »Hatten Sie viel Geld bei sich?«
    »An die fünfzig Franc. Ich habe selten mehr in der Tasche.«
    »Und Ihre Papiere?«
    »Meine Papiere sind weg, und auch die Marke.«
    Diese Dienstmarke der Kriminalpolizei, von der so viel Aufhebens gemacht wird, der Alptraum der Kommissare! Im Prinzip müssen sie sie immer bei sich tragen, um sich als Offiziere der Kriminalpolizei auszuweisen.
    Eine schöne
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