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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter
Autoren: Georges Simenon
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sich verspätet hatten, und Moers nutzte die Wartezeit, um dem Leichnam sorgfältig die Nägel zu reinigen, sowohl die Finger- als auch die Fußnägel, wobei er darauf achtete, auch die winzigsten Haut- und Schmutzreste in kleinen Beuteln zu sammeln, die er mit geheimnisvollen Zeichen versah.
    »Es wird nicht leicht sein, ihn ein bisschen nett herzurichten«, meinte der Fotograf, nachdem er sich das Gesicht des Toten angesehen hatte.
    Die Routinearbeit ging weiter. Zuerst die Aufnahme der Leiche und der Verletzung. Dann, für die Veröffentlichung in den Zeitungen, zum Zweck der Identifizierung, ein Foto des Gesichts, aber ein möglichst lebendiges. Deshalb war der Fotograf damit beschäftigt, den Toten zu schminken, der jetzt, in dem eisigen Licht, noch bleicher aussah, aber rosige Bäckchen und blutrote Lippen wie eine Straßendirne hatte.
    »Sie sind dran, Doktor.«
    »Bleiben Sie hier, Maigret?«
    Er blieb. Bis zum Ende. Es war halb sieben Uhr morgens, als er mit Dr. Paul in einer kleinen Bar, die soeben geöffnet hatte, einen Kaffee mit Schnaps trank.
    »Sie werden wahrscheinlich keine Lust haben, meinen Bericht abzuwarten … Sagen Sie, ist das ein wichtiger Fall?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Rings um sie herum aßen Arbeiter mit noch schlaftrunkenen Gesichtern ihre Croissants, und ihre Mäntel waren vom feuchten Morgennebel mit kleinen, glitzernden Perlen übersät. Es war kühl draußen. Jeder, der auf der Straße ging, blies eine leichte Dampfwolke vor sich her. In den verschiedenen Stockwerken der Häuser wurde ein Fenster nach dem anderen hell.
    »Zunächst einmal würde ich sagen, dass es sich um einen Mann aus bescheidenen Verhältnissen handelt. Dem Knochenbau und den Zähnen nach scheint er eine ärmliche und wenig behütete Kindheit gehabt zu haben … Seine Hände weisen auf keinen bestimmten Beruf hin. Sie sind kräftig, aber relativ gepflegt. Der Mann dürfte kein Arbeiter gewesen sein. Aber auch kein Angestellter, denn seine Finger weisen nicht die – wenn auch ganz leichten – Verkrümmungen auf, die darauf hindeuten, dass jemand viel geschrieben hat, sei es mit der Hand oder auf der Schreibmaschine. Hingegen hat er die empfindlichen und geschwächten Füße eines Menschen, der den ganzen Tag stehen muss.«
    Maigret machte sich keine Notizen; alles prägte sich auch so seinem Gedächtnis ein.
    »Kommen wir nun zur Hauptfrage: der Tatzeit. Ich glaube nicht, dass ich mich täusche, wenn ich Ihnen sage, dass der Mord zwischen acht und zehn Uhr abends verübt wurde.«
    Maigret war bereits telefonisch über die Aussagen der Nachtbummler und über den gelben Citroën, der kurz nach ein Uhr morgens an der Place de la Concorde gesehen worden war, informiert worden.
    »Sagen Sie, Doktor, ist Ihnen nichts Außergewöhnliches aufgefallen?«
    »Was meinen Sie damit?«
    Seit fünfunddreißig Jahren war Dr. Paul mit seinem gleichsam legendären Bart Gerichtsarzt, und er war mit Kriminalfällen vertrauter als die meisten Polizisten.
    »Das Verbrechen ist nicht an der Place de la Concorde verübt worden.«
    »Das ist mir klar.«
    »Es wurde wahrscheinlich an einem abgelegenen Ort begangen.«
    »Wahrscheinlich.«
    »Gewöhnlich nimmt man – vor allem in einer Stadt wie Paris – das Risiko, eine Leiche zu transportieren, nur auf sich, um sie zu verstecken, um zu versuchen, sie verschwinden zu lassen, oder um ihre Entdeckung zu verzögern.«
    »Sie haben recht, Maigret. Daran habe ich nicht gedacht.«
    »Diesmal haben wir es hingegen mit Leuten zu tun, die riskieren, erwischt zu werden oder uns wenigstens auf ihre Spur zu bringen, um mitten in Paris, an der am leichtesten sichtbaren Stelle, eine Leiche abzuladen, an einer Stelle, wo sie selbst mitten in der Nacht keine zehn Minuten unentdeckt bleiben konnte.«
    »Mit anderen Worten, die Mörder wollten, dass er entdeckt wird. Das denken Sie doch, oder?«
    »Nicht ganz. Aber das spielt keine Rolle.«
    »Und doch haben sie ihre Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um seine Identifizierung zu erschweren. Die Schläge ins Gesicht sind nicht mit bloßen Fäusten, sondern mit einem schweren Gegenstand erfolgt, dessen Form ich leider nicht bestimmen kann.«
    »Vor dem Tod?«
    »Danach. Einige Minuten danach.«
    »Sind Sie sicher, dass es nur einige Minuten danach war?«
    »Weniger als eine halbe Stunde, darauf könnte ich schwören … Aber, Maigret, da ist noch etwas anderes, das ich in meinem Bericht wahrscheinlich nicht erwähnen werde, weil ich nicht ganz sicher bin
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