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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter
Autoren: Georges Simenon
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sich mit Lequeux und blickte flüchtig auf eine junge Frau in Lamékleid und Nerzmantel, die soeben in Begleitung zweier Männer aus einem Auto stieg und, ängstlich an den Arm des einen der beiden geklammert, wartete, als ob demnächst noch etwas passieren müsste.
    Erst nach einer Weile ging er langsam auf die ausgestreckte Gestalt zu, auf den beigen Fleck, den der Regenmantel auf dem Asphalt bildete, und beugte sich, immer noch langsam, darüber – als wäre es ein Verwandter oder Freund, wie Inspektor Lequeux später sagte.
    Als er sich wieder aufrichtete, runzelte er die Stirn. Man merkte, dass er zornig war. Als mache er die Anwesenden dafür verantwortlich, fragte er:
    »Wer hat das getan?«
    Mit Faustschlägen? Mit Fußtritten? Das war nicht festzustellen. Jedenfalls hatte man den Mann, bevor man ihn mit einem Messer erstach, oder danach, mehrmals ziemlich heftig geschlagen, denn sein Gesicht war geschwollen, eine Lippe gespalten und die eine Gesichtshälfte völlig entstellt.
    »Ich warte auf den Leichenwagen«, sagte Lequeux.
    Ohne die Spuren der Misshandlungen hätte der Mann ein durchschnittliches, ziemlich junges und sicher fröhliches Gesicht gehabt. Noch im Tod hatten seine Züge etwas Kindlich-Naives.
    Warum war die Frau im Nerz vor allem über den Anblick eines nur mit einer lila Socke bekleideten Fußes erschüttert? Der Anblick dieses halbnackten Fußes, der neben dem anderen im schwarzen Lederschuh auf dem Gehsteig lag, hatte etwas lächerlich Nacktes, Intimes, sah nicht nach wirklichem Tod aus. Maigret selbst hob den sechs oder sieben Meter von der Leiche entfernt liegenden zweiten Schuh auf.
    Danach sagte er nichts mehr. Er wartete und rauchte. Noch mehr Neugierige mischten sich unter die flüsternde Gruppe. Dann kam der Leichenwagen, hielt am Rand des Gehsteigs, und zwei Männer hoben die Leiche auf. Wo sie gelegen hatte, war nicht die geringste Blutspur zu sehen.
    »Sie brauchen mir nur noch Ihren Rapport zu schicken, Lequeux.«
    Ergriff Maigret nicht in dem Augenblick von dem Toten Besitz, als er vorne im Leichenwagen Platz nahm und die anderen einfach stehenließ?
    Und so ging es die ganze Nacht und auch den nächsten Morgen. Es war, als gehörte die Leiche ihm, als wäre dieser Tote sein Toter.
    Er hatte Anweisung gegeben, dass Moers, einer der Experten des gerichtlichen Erkennungsdienstes, im Gerichtsmedizinischen Institut auf ihn warten sollte. Moers war ein junger Mann, lang und dürr. Er lächelte nie, und seine scheuen Augen versteckten sich hinter dicken Brillengläsern.
    »An die Arbeit, mein Junge …«
    Er hatte auch Dr. Paul benachrichtigt, der jeden Augenblick eintreffen musste. Außer ihnen war nur noch ein Wärter da und die in den letzten Tagen in Paris aufgelesenen, jetzt in ihren Gefrierbehältern liegenden namenlosen Toten.
    Grelles Licht erhellte den Raum; nur selten fiel ein Wort. Sie arbeiteten mit knappen, sicheren Bewegungen. Wer ihnen zusah, musste an gewissenhafte Arbeiter denken, die über eine heikle Nachtarbeit gebeugt sind.
    In den Taschen des Toten fand man fast nichts. Ein Paket Knaster, ein Briefchen Zigarettenpapier, eine Schachtel Streichhölzer, ein ziemlich gewöhnliches Messer, einen altmodischen Schlüssel, einen Bleistift und ein Taschentuch ohne Monogramm. In der Hosentasche etwas Kleingeld, aber keine Brieftasche, keinen Personalausweis.
    Moers ergriff vorsichtig ein Kleidungsstück nach dem anderen und steckte alles in einen Sack aus Ölpapier, den er verschloss. Dasselbe tat er mit dem Hemd, den Schuhen und Socken. Die Sachen waren von durchschnittlicher Qualität. Im Sakko war ein Etikett eines Konfektionshauses am Boulevard Sébastopol eingenäht, und die Hose, die relativ neu aussah, hatte nicht die gleiche Farbe.
    Der Tote war schon vollständig ausgezogen, als Dr. Paul ankam – mit gepflegtem Bart und ganz frisch wirkend, obwohl man ihn mitten in der Nacht geweckt hatte.
    »Also, mein lieber Maigret, was erzählt denn der arme Kerl?«
    Es ging jetzt nämlich gewissermaßen darum, den Toten seine Geschichte erzählen zu lassen. Das gehörte zur Routinearbeit. Normalerweise hätte Maigret jetzt schlafen gehen sollen, und er hätte am nächsten Morgen die verschiedenen Berichte auf seinem Schreibtisch vorgefunden.
    Aber er wollte alles mit ansehen und blieb, die Pfeife im Mund, die Hände in den Taschen, mit verschlafenem Blick bei den anderen stehen.
    Bevor der Arzt mit seiner Arbeit beginnen konnte, musste er auf die Fotografen warten, die
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