Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
sie:
    »Glauben Sie, dass ich das könnte … dass man mir eines anvertrauen würde … dass …«
    Und der Gedanke nahm in ihrem Kopf gleich so fest Gestalt an, dass Maigret darüber erschrak. Wenn er es auch nicht nur so dahingesagt hatte, so hatte er doch nur vorfühlen wollen. Der Gedanke war ihm unterwegs im Taxi gekommen. Es war einer dieser verschlungenen, kühnen Einfälle, wie sie einem im Halbschlaf oder in einem Zustand starker Erschöpfung kommen und die man am nächsten Morgen als Hirngespinst erkennt.
    »Darüber reden wir später noch. Denn ich möchte Sie wiedersehen, wenn Sie es gestatten. Übrigens muss ich noch mit Ihnen abrechnen, weil wir uns erlaubt haben, Ihr Lokal wieder aufzumachen.«
    »Kennen Sie vielleicht ein Kind, das …«
    »Nun, es gibt da eins, Madame, das vielleicht schon in einigen Wochen keine Mutter mehr haben wird.«
    Sie wurde dunkelrot, und auch er war errötet. Er ärgerte sich jetzt, dass er diese Frage aufgeworfen hatte.
    »Ein Baby, nicht wahr?«, stammelte sie.
    »Ja, ein ganz kleines Baby.«
    »Es kann doch nichts dafür, das Kleine.«
    »Nein, es kann nichts dafür.«
    »Und es ist ja nicht gesagt, dass es auch so wird wie …«
    »Entschuldigen Sie, Madame, aber ich muss jetzt nach Paris zurück.«
    »Ich werde darüber nachdenken.«
    »Denken Sie nicht zu viel darüber nach. Ich mache mir schon Vorwürfe, dass ich überhaupt etwas gesagt habe.«
    »Nein, ganz im Gegenteil. Darf ich es denn sehen?«
    »Gestatten Sie mir noch eine Frage: Albert hat mir am Telefon gesagt, dass Sie mich kennen. Ich kann mich aber nicht erinnern, Sie je gesehen zu haben.«
    »Aber ich. Ich habe Sie gesehen. Es ist schon lange her, ich war damals kaum zwanzig Jahre alt. Meine Mutter lebte noch, und wir haben die Ferien in Dieppe verbracht.«
    »Im ›Hôtel Beauséjour‹!«, rief er aus.
    Er war dort vierzehn Tage mit seiner Frau gewesen.
    »Alle Gäste haben von Ihnen gesprochen und immer wieder verstohlen zu Ihnen hinübergeschaut.«
    Es war ihm seltsam zumute, in dem Taxi, das ihn nach Paris zurückbrachte. Die Landschaft war in strahlendes Sonnenlicht getaucht, und überall an den Hecken sah man die ersten Knospen.
    ›Es wäre nicht schlecht, jetzt Urlaub zu machen‹, dachte er, vielleicht weil vorhin die Erinnerung an Dieppe in ihm wachgerufen worden war.
    Er wusste, es würde nichts daraus werden, aber in bestimmten Zeitabständen packte ihn die Sehnsucht immer wieder. Es war wie ein Schnupfen, den er loswurde, indem er sich in die Arbeit stürzte.
    Die Vororte … die Brücke von Joinville …
    »Fahren Sie über den Quai de Charenton.«
    Das Lokal war geöffnet. Chevrier sah verwirrt aus.
    »Ich bin froh, dass Sie kommen, Chef. Man hat mich gerade angerufen, dass alles vorüber ist, und meine Frau weiß nicht, ob sie noch Einkäufe machen soll.«
    »Ganz wie sie will.«
    »Aber es nützt doch nichts mehr, oder?«
    »Nein, das nicht.«
    »Man hat mich auch gefragt, ob ich Sie gesehen hätte. Anscheinend hat man Sie bei Ihnen zu Hause und auch sonst überall gesucht. Wollen Sie am Quai anrufen?«
    Er zögerte. Diesmal war er wirklich am Ende seiner Kraft, und er hatte nur noch einen Wunsch: sich ins Bett zu legen und in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu sinken.
    ›Ich wette, ich werde vierundzwanzig Stunden hintereinander schlafen.‹
    Das war natürlich eine Illusion. Leider. Man würde ihn schon vorher stören. Von jeher war man es am Quai des Orfèvres gewohnt – und er war selbst schuld daran –, bei jeder Kleinigkeit zu sagen: »Rufen Sie Maigret an.«
    »Was soll ich Ihnen bringen, Chef?«
    »Einen Calvados, wenn’s schon unbedingt sein muss.«
    Mit Calvados hatte er angefangen. Und mit Calvados würde er aufhören.
    »Hallo? Wer ist am Apparat?«
    Es war Bodin. Den hatte er ganz vergessen. Bestimmt hatte er auch noch ein paar andere vergessen, die an verschiedenen Punkten von Paris noch auf verlorenem Posten standen.
    »Ich habe den Brief, Chef.«
    »Welchen Brief?«
    »Den von den postlagernden Sendungen.«
    »Ach, ja. Also gut.«
    Armer Bodin. Er löste mit seinem Fund keine große Begeisterung aus.
    »Soll ich ihn öffnen und Ihnen sagen, was in dem Umschlag ist?«
    »Wenn es dir Spaß macht …«
    »Einen Augenblick. Jetzt hab ich’s. Kein Brief. Nur eine Eisenbahnfahrkarte.«
    »Schon gut.«
    »Haben Sie das gewusst?«
    »Ich habe es mir gedacht. Eine Rückfahrkarte erster Klasse Goderville-Paris.«
    »Ja, stimmt. Übrigens warten da noch zwei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher