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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter
Autoren: Georges Simenon
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ganz einfach. Als er sich vorstellte, erschrak sie ein wenig, aber er sagte ganz freundlich:
    »Gestatten Sie, dass ich mit Ihnen frühstücke?«
    Auf dem Tisch vor dem Fenster lag eine rotkarierte Decke, und zwei Frühstücksgedecke aus dickem Steingut standen darauf. Der Kaffee duftete verlockend, und die Butter hatte einen Haselnussgeschmack.
    Sie schielte, das schon, ja, sie schielte sogar entsetzlich. Sie wusste es, und als er sie ansah, wurde sie verlegen und erklärte beschämt:
    »Mit siebzehn Jahren hat mich meine Mutter operieren lassen, weil mein linkes Auge nach innen sah. Nach der Operation sah es nach außen. Der Chirurg wollte es noch einmal kostenlos operieren, aber ich habe abgelehnt.«
    Doch nach ein paar Minuten fiel es einem kaum noch auf. Man konnte sogar verstehen, dass manche sie beinahe hübsch fanden.
    »Armer Albert! Wenn Sie ihn gekannt hätten! Ein so fröhlicher und guter Mensch, immer nur darauf bedacht, allen Menschen Freude zu machen.«
    »Er war Ihr Vetter, nicht wahr?«
    »Ja, ein weitläufiger Vetter dritten Grades.«
    Auch ihr Akzent war reizvoll. Was man vor allem bei ihr spürte, war ein ungeheures Bedürfnis nach Zärtlichkeit. Nicht nach Zärtlichkeit, die sie für sich verlangte, sondern nach Zärtlichkeit, die sie an andere abgeben wollte.
    »Ich war dreißig, als ich meine Eltern verlor. Ich war noch immer ohne Mann. Meine Eltern hatten ein kleines Vermögen, und ich hatte nie gearbeitet. Ich bin nach Paris gegangen, weil ich mich in dem großen Haus meiner Eltern einsam fühlte. Ich kannte Albert kaum, eigentlich nur vom Hörensagen. Ich habe ihn dann einmal besucht.«
    Aber natürlich. Maigret verstand. Auch Albert war einsam, und sie hatte ihn wahrscheinlich mit einer Fürsorge umgeben, die er bis dahin nicht gekannt hatte.
    »Wenn Sie wüssten, wie ich ihn geliebt habe! Ich habe nie von ihm verlangt, dass er mich liebt, verstehen Sie? Ich weiß genau, dass das nicht möglich gewesen wäre. Aber er hat so getan, als wäre es so, und ich tat, als glaubte ich es, damit er zufrieden war. Wir waren glücklich, Herr Kommissar. Ja, ich bin sicher, dass er ebenfalls glücklich war. Er hatte keinen Grund, es nicht zu sein, nicht wahr? Und wir hatten gerade unseren Hochzeitstag gefeiert. Ich weiß nicht, was auf der Rennbahn passiert ist. Er ließ mich auf der Tribüne zurück, während er zum Wettschalter ging. Auf einmal kam er ganz bedrückt wieder, und von dem Augenblick an sah er sich andauernd um, als suchte er jemanden. Er wollte, dass wir im Taxi heimfuhren, und drehte sich ständig um. Vor dem Haus sagte er zum Fahrer: ›Fahren Sie weiter!‹ Ich weiß bis heute nicht, warum. Er hat sich zur Place de la Bastille fahren lassen. Dort ist er ausgestiegen, nachdem er noch zu mir gesagt hatte: ›Fahr allein nach Hause. Ich bin in ein oder zwei Stunden zurück.‹ Er wurde nämlich verfolgt. Am Abend kam er nicht nach Hause, sondern rief mich an, er käme erst am nächsten Morgen. Am nächsten Morgen hat er mich dann noch zweimal angerufen …«
    »Am Mittwoch?«
    »Ja. Das zweite Mal, um mir zu sagen, ich sollte nicht auf ihn warten, sondern ins Kino gehen. Als ich nicht wollte, hat er darauf bestanden. Er ist fast böse geworden. Da bin ich eben gegangen. Haben Sie sie verhaftet?«
    »Bis auf einen, den wir aber auch bald gefasst haben werden. Ganz allein ist er, glaube ich, nicht gefährlich, vor allem weil wir wissen, wer er ist, und seine Personenbeschreibung besitzen.«
    Maigret ahnte gar nicht, wie wahr seine Worte waren. Zur gleichen Zeit nahm ein Inspektor vom Sittendezernat Serge Madok in einem Bordell am Boulevard de La Chapelle fest, in dem vorwiegend Araber verkehrten. Er hatte sich dort seit dem Vorabend versteckt gehalten und war beharrlich die ganze Nacht dortgeblieben.
    Er leistete keinen Widerstand. Er war völlig benebelt, stockbetrunken, und man musste ihn zum Polizeiwagen tragen.
    »Was werden Sie jetzt machen?«, fragte Maigret teilnahmsvoll, während er seine Pfeife stopfte.
    »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich werde ich in meine Heimat zurückkehren. Ich kann das Restaurant nicht allein weiterführen. Ich habe niemanden mehr.«
    Sie wiederholte den letzten Satz und blickte um sich, als suchte sie jemanden, den sie mit ihrer Fürsorge verwöhnen konnte.
    »Ich weiß noch nicht, wie ich mir das Leben einrichten soll.«
    »Wie wäre es, wenn Sie ein Kind adoptieren würden?«
    Sie hob den Kopf und sah ihn einen Augenblick ungläubig an. Dann lächelte
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