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Maienfrost

Maienfrost

Titel: Maienfrost
Autoren: Maren Schwarz
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verstreichen, bevor ich ins Bett zurückkehrte. Kaum lag ich dort, spürte ich, dass sich etwas verändert hatte. Mutters gleichmäßiges Atmen fehlte. Anstatt tröstliche Wärme zu spenden, ging eine tödliche Kälte von ihr aus. Ich bekam es mit der Angst zu tun und versuchte sie zu wecken. Aber sie rührte sich nicht. Ihre Hand fühlte sich ganz schlaff an. Auch ihr damals schon auffällig gewölbter Leib ließ keine Regung erkennen. Nacktes Entsetzen beschlich mich. Als sich das Gewitter verzogen hatte, kehrte ich in mein Zimmer zurück. Am nächsten Morgen teilte mir Vater mit, dass Mutter gestorben sei. Obwohl ich es geahnt hatte, weigerte sich mein Verstand daran zu glauben. Es überstieg mein Vorstellungsvermögen, meinen Vater mit ihrem plötzlichen Tod in Zusammenhang zu bringen. Schließlich war ich damals noch ein Kind. Erst als ich älter wurde, dämmerte mir, was in jener Nacht tatsächlich geschehen war. Mit meinem Vater darüber zu reden, verbot sich von selbst. Was blieb, war quälende Ahnungslosigkeit. Gewissheit bekam ich erst, als ich eines abends, rein zufällig Zeuge eines Gesprächs zwischen ihm und meinem Großvater wurde. Sie stritten.
    Die Wohnzimmertür stand einen Spalt breit offen und ich lauschte. Ich konnte mich nicht erinnern, die beiden jemals so heftig aufeinander einreden gehört zu haben. Als ich hinzukam, vernahm ich, wie mein Vater ihm vorwarf, sich zu brüsten, seine aus erster Ehe stammende Frau und die beiden Töchter in die Gaskammer geschickt zu haben. Großvater war nicht gewillt, Vaters Vorwurf auf sich sitzen zu lassen. Was er daraufhin erwiderte, ließ keinen Zweifel daran, wer für den Tod meiner Mutter verantwortlich war. Ich war starr vor Schreck. Fürchterliche Bilder drängten sich mir auf. War auch mein Großvater ein Mörder? Noch dazu einer, der sich seiner Verbrechen rühmte, anstatt Reue zu zeigen? Hatte mein Vater ihn sich womöglich zum Vorbild genommen? Ich weiß es nicht und werde es wohl auch nie erfahren.«
    »Und in dieser Tradition verhaftet, glaubten Sie gleichfalls straffrei auszugehen. War es nicht so?«
    »Ach denken Sie doch was Sie wollen«, erwiderte Pascal Austen. Seine Beichte hatte ihn all seiner Lebendigkeit beraubt.
    Henning war erschüttert. Nachdem, was er erfahren hatte, war es für ihn kein Wunder, dass der Mann ihm gegenüber ein eigenes Rechtsbewusstsein entwickelt hatte.
    »Trotzdem«, wandte er ein, »verstehe ich immer noch nicht, weshalb diese drei Frauen sterben mussten.«
    »Daran war Carmen schuld, vielmehr«, verbesserte er sich, »diejenige, die mir in ihrer Person erschien.«
    »Sie meinen diese Schauspielerin, Ihr letztes Opfer?«
    Pascal Austens Nicken bestätigten ihm seine Annahme.
    »Mit ihr kamen diese schrecklichen Träume zurück. Das ließ mir keine Wahl. Ich musste sie töten, um sie dafür büßen zu lassen, was sie mir antat.«
    »Sie meinen, was Carmen Ihnen antat?«
    »Wenn es Ihnen so lieber ist. Es war die einzige Möglichkeit mich von diesen grauenhaften Albträumen zu befreien.« Ein Anflug von Wahnsinn spiegelte sich in seinem Blick wider, als er sich vor Augen hielt, dass der heutige Tag ihm offenbart hatte, dass es ihm trotz all der Opfer nicht gelungen war, sich ihrer zu erwehren. Nicht gewillt, sein Scheitern einzugestehen, hörte der Kommissar ihn stattdessen sagen: »Hätte ich es nicht getan, hätte ich den Verstand verloren, verstehen Sie?«
    Henning verstand nicht. Wie hätte er auch ahnen können was in Pascal Austens Kopf vor sich ging. »Erzählen Sie mir von diesen Träumen. Wann begannen sie?«, wollte er wissen, um zu begreifen.
    »Sie setzten mit Mutters Tod ein, schwächten sich jedoch im Laufe der Jahre ab. Nachdem ich Carmen ermordet hatte, befielen sie mich erneut. Doch auch das ging vorüber. Erst als ich diese Theatervorführung besuchte und mich Carmens Ebenbild gegenüber sah, kamen sie wieder, um mich mit nie gekannter Intensität zu verhöhnen. Was hätte ich den tun sollen? Carmen mich ungestraft verspotten lassen? Das konnte ich doch nicht. Zum Glück offenbarte mir Vater, was zu tun sei.«
    »Hat er Ihnen das Kaliumchlorid besorgt?«, fragte Henning in der Hoffnung, ihn, wenn schon nicht wegen Mord, so doch wegen Beihilfe dazu dran zu bekommen. Doch Pascal Austen schüttelte den Kopf. »Ich nahm mir die Freiheit, mich ohne sein Wissen zu bedienen. Ich bin sicher, wenn er es bemerkt, wird ihm schon ein Weg einfallen, um es zu vertuschen. Das ist schließlich nicht mein Problem.
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