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Maienfrost

Maienfrost

Titel: Maienfrost
Autoren: Maren Schwarz
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Arglos leerten David und Carmen ihre Kelche. Ungerührt sah er zu, wie das, dem Wein beigemischte Sedativum, zu wirken begann. Kaum war das Pärchen in eine tiefe Bewusstlosigkeit hinübergeglitten, hielt ihm sein Vater kalt lächelnd ein Paar Latexhandschuhe entgegen. »Anziehen!«, forderte er.
    Die auf die nächste Aufnahme folgende Reaktion war so heftig, dass sie ihn sich schweißgebadet auf seiner Schlafstätte winden ließ. Unverständliche Worte murmelnd, musste er mit ansehen, wie sein Vater eine mit glasklarer Flüssigkeit gefüllte Einwegspritze zu Tage förderte. Während er das Bild betrachtete, dämmerte ihm, dass er eine ähnliche Szene schon einmal erlebt hatte. Bevor die hauchdünne Kanüle David Küsters Haut berührte, vernahm er plötzlich seine eigene, in diesem Moment fremd klingende Stimme. »Hast du damit auch Mutter umgebracht?«, wollte er wissen.
    In seiner Bewegung innehaltend, richtete sich sein Vater auf, um ihn prüfend anzusehen. »Sollte mir da etwas entgangen sein?«, erkundigte er sich. Seine Stimme hatte diesen keinen Widerspruch duldenden Ton angenommen, den zu meiden er auch heute noch ängstlich bemüht war. Ihn fröstelte. Sie sahen einander an. Sein Vater begriff auch ohne Worte. Zu spät erkannte er, in welch heikle Situation ihn seine unbesonnene Frage hineinmanövriert hatte: zwang sie doch Wigald Austen, seine Strategie zu ändern. Um dem über ihm hängenden Damoklesschwert seiner vernichtenden Schärfe zu berauben, reichte es nicht mehr aus, ihn zum Mitwisser zu machen. Er musste dafür sorgen, dass auch an seinen Händen Blut klebte. Nachdem sein Vater David den tödlichen Schuss gesetzt hatte, versicherte er sich seiner Verschwiegenheit, indem er ihm abverlangte, gleiches mit Carmen zu tun. Nie würde er das folgende Bild vergessen. Einem rot glühenden Eisen gleich, hatte es sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Am Rande des Unterbewussten wandelnd, sah er sich die Spritze aus seines Vaters Hand entgegen nehmen. Selbst im Traum schloss er die Augen, um nicht sehen zu müssen, wie die hauchdünne Kanüle Carmens von schwarzem Haar umgebene Kopfhaut durchstieß. Es kostete ihn übermenschliche Anstrengungen, den Kolben bis zum Anschlag zu drücken. Doch kaum hatte er sein Werk vollbracht, fühlte er eine nie gekannte Euphorie in sich aufsteigen. Er hatte es geschafft, tatsächlich geschafft. War es ein Wunder, dass er in diesem Moment auch seine Albträume gebannt wähnte?
    Die ihn bald schon einholende Realität jedoch sah anders aus. Seine Tat bewirkte lediglich, dass die ihn des Nachts heimsuchenden Züge seiner Mutter nun die seiner Frau annahmen. Aber das konnte er in diesem Augenblick noch nicht ahnen und der Traum verschwieg es ihm wohlweislich.
    Übergangslos sah er sich einem schwefelgelben Augenpaar gegenüber. Einem Impuls folgend, wollte er zurückweichen. Doch dann kam das Erkennen und mit ihm das Begreifen. Darum bemüht, ihm sein Handeln erklärlich zu machen, ließ sein Vater ihn wissen, dass sowohl seine Mutter als auch seine Frau in Gestalt einer Mensch gewordenen Versuchung den Teufel in sich trugen. Sie beide, hörte er seinen Vater sich rechtfertigen, seien dafür auserwählt, Satan zu töten.
    Noch während er nach einem Sinn in dieser Offenbarung suchte, wechselte die Szene und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Frage, was mit den Leichen geschehen solle. Carmens Brautkleid brachte ihn auf die Idee, den Geistlichen ihr ebenbürtig zu kleiden. Ein in der Sakristei hängender Talar schien ihm für seine Zwecke geeignet. Nachdem er in der nächsten Einstellung die Lage sondiert hatte, sah er sich mit seinem Vater die Toten nach draußen tragen. Er konnte hören, wie der Schrei eines Käuzchens die Stille der Nacht zerriss und spüren, wie ihm das Herz bis in den Hals schlug. Das nächste Bild zeigte, wie sie im Schutz der Dunkelheit die Leichen ein paar Gräberreihen entfernt auf einem der Wege ablegten. Wie sie so vor ihm lagen, ging ihm auf, dass noch etwas fehlte. Er wollte nicht nur glauben, dass sie tot waren, er wollte es auch sehen. Gleich ihm sollte alle Welt sich davon überzeugen können. Der Traum verschwieg, woher der Dolch stammte, den er plötzlich umklammert hielt. Die folgende Aufnahme zeigte lediglich, wie er damit seiner Frau die Kehle durchtrennte. Das darauf von ihm getroffene Arrangement sollte den Anschein erwecken, das David Küster die Schuld für das Blutbad trug. Beifall heischend sah er sich nach seinem Vater um. Dieser
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