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Maienfrost

Maienfrost

Titel: Maienfrost
Autoren: Maren Schwarz
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stand, ihn zu betrügen noch während er ihr andächtig den Ehering überstreifte. Vor lauter Liebe mit Blindheit geschlagen, blieb ihm vorerst verborgen, was die Stunde geschlagen hatte.
    Verwundert stellte er fest, dass er Zeuge seiner eigenen Hochzeit geworden war.
    Noch bevor er sich des tieferen Sinns dieser Szene bewusst werden konnte, versanken die Bilder in dichtem Nebel. In der nächsten Traumsequenz sah er sich seinem Vater im für die Hochzeitsfeierlichkeiten gemieteten Dorfgasthof gegenüberstehen. Die Worte, die er an ihn richtete, trafen ihn wie tödliche Dolchstöße. Wigald Austen sprach von Verrat. Alarmiert von den Blicken, mit denen seine Schwiegertochter und der Geistliche sich während der Trauung bedachten, war er Carmen, die sich unter dem scheinheiligen Vorwand, einen Ohrring zu vermissen, noch einmal in das Gotteshaus zurück begeben hatte, gefolgt. Diesmal jedoch lag der in unschuldigem Weiß gehaltene Altarraum nicht hell und strahlend, sondern in diffuses Zwielicht getaucht vor ihm. Die während der Trauung für eine feierliche Atmosphäre sorgenden Kerzen waren gelöscht worden. Sein Vater sprach beschwörend auf ihn ein. Seine Worte erweckten Bilder zu neuem Leben, die sich ihm vor langer Zeit unauslöschlich eingeprägt hatten. Gestochen scharf warf sie ein Diaprojektor an eine nur für ihn sichtbare Wand. Er sah seine Frau dem Geistlichen in die Sakristei folgen. Das, was sich kurz darauf dort abspielte, ließ keinen Zweifel an ihren wahren Gefühlen. Die Erkenntnis, Carmen von Anfang an lediglich als Mittel zum Zweck gedient zu haben, war bitter. Brachte sie doch zum Ausdruck, dass er nie auch nur den Hauch einer Chance hatte, ihr Herz für sich zu gewinnen. Denn für sie gab es nur eine einzige große Liebe und die war ihr in einer schicksalsträchtigen Nacht in Gestalt von David Küster erschienen. Den Bildern unterlegt, hörte er sie wie aus weiter Ferne von einem tragischen Missverständnis reden, von Briefen, die niemals beim Empfänger ankamen.
    In der folgenden Aufnahme sah er Carmen einen Blick auf ihre Armbanduhr werfen. Sie wirkte unschlüssig. Bangen Herzens fragte sie sich, ob es ihr vergönnt sei, David wieder zu sehen, um in aller Stille Abschied von ihm zu nehmen. Obwohl ihr Verstand ihr sagte, dass es sinnlos sei und nur alte Wunden wieder aufreißen würde, verlangte es sie danach, ihn wissen zu lassen, was sie den Briefen anvertraute, die ihn nie erreicht hatten.
    Eine Welle der Erleichterung überflutete sie, als sie merkte, dass ihr Wunsch bei David auf offene Ohren traf.
    In der weiteren Bilderfolge, musste er machtlos mit ansehen, wie sich die beiden für den Abend verabredeten.
    Sprunghaft und zeitlos, wie Träume zu sein pflegten, sah er sich den beiden Stunden später am gleichen Ort gegenüberstehen. Schon lange war die Nacht hereingebrochen. Eng aneinandergeschmiegt, hörte er die beiden Liebenden sich leise flüsternd ihre geheimsten Sehnsüchte anvertrauen. Seinem Vater zur Seite, betrat er die in flackerndes Kerzenlicht getauchte Sakristei. Beim Anblick der Männer fuhr das Pärchen erschrocken auf. Ihre angstvoll geweiteten Augen auf ihn gerichtet, schien Carmen eine Strafpredigt zu erwarten. Doch sie sollte sich täuschen.
    Ihr Plan sah anderes vor.
    »Einen Austen betrügt man nicht! Lass mich nur machen, ich regle das schon«, gab ihm sein Vater zu verstehen. Gewohnt, sich seinen Anweisungen unterzuordnen, überließ er ihm die Führung. Wigald Austen zeigte sich dem verschreckten Paar gegenüber überraschend verständnisvoll. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, ließ er sie wissen, dass er ihr Gespräch vom Morgen belauscht hatte. Mit seinem Versprechen, dass alles gut werde, gab er einer tief in ihrem Inneren keimenden Hoffnung neue Nahrung. Nachdem er mit diesen Worten den Boden für sein weiteres Vorgehen bereitet hatte, zauberte sein Vater eine Flasche Rotwein unter seinem Jackett hervor. Den Einwand des Geistlichen ignorierend, nahm er vier Abendmahlkelche von einem Bord über der Tür und füllte sie mit Wein. In seinem Traum verglich er den in die Kelche rinnenden Rebensaft mit Blut, sündigem Blut. Im Vorfeld hatte ihm sein Vater eingeschärft, unter keinen Umständen davon zu trinken. Er solle es lediglich danach aussehen lassen, um keinen Verdacht zu erwecken.
    Er ließ sich Zeit, um sich genüsslich das nächste, vor seinem inneren Auge entstandene Bild zu betrachten. Es zeigte, wie sich die in der Sakristei versammelten Menschen zuprosteten.
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