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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman
Autoren: Eva Baronsky
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reicht
     ihr die Hand; da ist kein Lächeln, das es zu erwidern gilt. Erst dann bemerkt Jelisaweta, dass sie noch immer draußen steht.
     Es bringt Unglück, sich die Hand über die Schwelle zu reichen. Jelisaweta kann nicht sagen, worüber sie sich mehr ärgert –
     darüber, diese Regel missachtet zu haben, oder dass so ein dämlicher Aberglaube ihr überhaupt etwas anhaben kann.
    »Na endlich, ich dachte schon, Sie kämen gar nicht mehr. Bring die Tasche nach oben, Dieter.« Die Blonde lässt Jelisaweta
     in eine kleine Diele eintreten. Es riecht nach Äpfeln und Lederschuhen. »Ich muss in einer halben Stunde beim Friseur sein,
     kommen Sie, ich zeige Ihnen rasch alles, Frau … – wie spricht man Ihren Namen aus? Können Sie mich überhaupt verstehen?«
    Jelisaweta zieht ihre Stiefel aus. »Ja, natürlich kann ich verstehen. Mein Name ist Jelisaweta Fjodorowna Serebrjakowa.«
    »Ach, jaja, das ist aber sehr kompliziert …«
    »Lisa, sagen Sie Lisa.«
    Der Blick der Frau wandert an Jelisaweta herab, Überraschung liegt darin, als habe sie jemand völlig anderen erwartet. »Sie
     sprechen aber gut Deutsch. Für eine Russin, meine ich …«
    Jelisaweta hebt bloß die Schultern. Es ist nicht schwer, Deutsch zu sprechen, nur schmerzhaft. Von ihrer ersten Deutschstunde
     an ist ihr diese karge, harte Sprache wie etwas vorgekommen, das man des Klangs beraubt, verstümmelt hat. Verächtlich denkt
     sie an die wenigen Male, da sie Deutsche hat Russisch sprechen hören. Grauenhaft.
    »Nun, ist ja auch egal. Also, dort drüben ist die Küche, Lisa, ich komme morgen vorbei und zeige Ihnen, wo Sie einkaufen können.
     Essen für die Tante steht im Schrank, sie mag gerne Pichelsteiner Eintopf.« Mit raschen Schritten hält die Lufthansablonde,
     von der Jelisaweta annehmen muss, dass sie Frau Hübner ist, auf die Treppe zu. »Die Tante ist oben. Sie haben ja Erfahrung
     mit alten Leuten?«
    Jelisaweta nickt, folgt ihr, senfgelber Veloursteppich schlägt auf den Holzstufen Falten. Die Treppe führt hinauf in einen
     winzigen, dämmrigen Korridor. Frau Hübner öffnet lautlos eine Tür, späht in den dahinterliegenden Raum und tritt zur Seite,
     sie weist wortlos auf eine zarte, alte Frau, die schlafend und wie verloren in einem wuchtigen Doppelbett aus dunklem, beinahe
     schwarzem Holz liegt und kaum hörbar schnarcht. Ihr Haar ist schlohweiß, aber voll, das feine Gesicht wie helles Seidenpapier,
     das man zerknüllt und anschließend wiederglattgestrichen hat. Vage erinnert sich Jelisaweta an das Bild ihrer eigenen Großmutter, die farblosen Haare, das eingefallene
     Gesicht. Jelisaweta hat sie nie Babulja genannt, sondern Babka, immer nur Babka.
    Frau Hübner schließt die Tür, zeigt auf einen weiteren Raum. »Dort sind Bad und Toilette, man kommt auch vom Schlafzimmer
     aus hinein. Das Tantchen hat zwei gebrochene Wirbel. Aber sie ist nicht schwer, lässt sich problemlos aus dem Bett heben,
     der Toilettenstuhl steht im Zimmer. Und dort schlafen Sie, Lisa.« Sie öffnet die Tür zu einer engen Kammer mit einem blassgrünen
     Einbauschrank. Jelisaweta sieht, dass ihre Reisetasche schon neben dem Bett steht.
    »Muss man umdrehen?«
    »Wie bitte?«
    »Umdrehen. Auf Matratze, damit Haut nicht wund geht.«
    »Ach so.« Frau Hübner hält für einen Moment inne und starrt Jelisaweta an. »Nein, das ist nicht nötig, sie kann sich selbst
     auf die Seite drehen. Dr. Lobe, das ist unser Hausarzt, der kommt einmal die Woche und die Krankengymnastin jeden Montag und
     Donnerstag. Die Medikamente sind im Schlafzimmer in der roten Box für die nächsten Tage vordosiert.« Sie wendet sich ab. »So,
     das wäre wohl alles. Kommen Sie zurecht?«
    Jelisaweta schiebt die Unterlippe vor, spürt, dass ihre Augen schmaler werden. Sie hat die letzten vierzig Stunden in einem
     verdreckten Autobus mit defekter Toilette verbracht. Sie hat kaum geschlafen, noch weniger gegessen und sich überhaupt nicht
     gewaschen. »Natürlich«, sagt sie kalt, »ich komme zurecht.«
    »Ich habe Ihnen die wichtigsten Telefonnummern aufgeschrieben, der Zettel ist unten in der Küche. Das Telefon liegt immer
     beim Tantchen am Bett. Alle paar Tage müssen Sie es unten aufladen.« Sie eilt die Treppe hinunter, Jelisaweta folgt betont
     langsam. Frau Hübner greift nach einer Handtasche und öffnet die Haustür. Zögernd bleibt sie in der kalten Morgenluft stehen,
     fasst schließlich in die Tasche und reicht Jelisaweta einen Schlüssel an einem Stück
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