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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman
Autoren: Eva Baronsky
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ihrem Kinn.
    »Danke.« Jelisaweta schüttelt kaum merklich den Kopf und dreht sich gleich wieder der Dunkelheit zu.
    »Wohin gehts?« Der Eierkuchen lässt nicht locker.
    »Frankfurt.« Ein Hund steht im Schein einer Straßenlaterne, als warte er auf den Bus. »Main.«
    »Arbeit oder Liebe?«
    Jelisaweta mustert sie knapp. »Ist das nicht dasselbe?« In Deutschland, fügt sie in Gedanken hinzu.
    Der Eierkuchen stutzt, lacht kollernd auf. »Was redest du da, Hühnchen, kleines? Weißt wohl schon allerhand. Wie alt bist
     du? Zwanzig?«
    Jelisaweta zieht nur die Brauen nach oben. Was soll sie erwidern? Dass sie gerade dreiundzwanzig geworden ist?
    Die andere wischt sich die Finger am Rand des Zeitungspapiers ab, fischt eine Essiggurke aus einer ovalen Plastikdose und
     beißt grinsend hinein. »Aber wenn du in Zukunft morgens den Boden scheuerst, liege ich noch im Bett und trinke Tee. Also,
     Hühnchen, was ist besser?«
    Jelisaweta hebt die Schultern. »Kostenlosen Käse gibts nur in der Mausefalle.« Sie dreht ihr Wolltuch zu einer Wurst und stopft
     es sich in den Nacken. Die Welt draußen ist schwarz geworden, gelegentlich fressen sich entgegenkommende Scheinwerfer durch
     die Dunkelheit. Jelisaweta lehnt sich gegen die kalte Scheibe, spürt das Dröhnen des Busses an ihrer Schläfe. Noch fünfunddreißig
     Stunden. Oder mehr, je nachdem. Wer kann das wissen?

Nur allmählich spürt Wilhelmine, dass sie aufsteigt aus der warmen Schwere des Schlafs, will weiter hinabtauchen in das Dunkel,
     empfindet dieses schwache Sehnen und ahnt kaum, wonach. Je älter sie wird, desto mehr hat sie das Gefühl, ein Fisch zu sein,
     fühlt sich nur noch in jenen Tiefen wohl, in denen Träume und Erinnerungen schwebend treiben. Was über der Wasseroberfläche
     passiert, geschieht ihr zu rasch, zu laut, wird ihr zunehmend fremd.
    So gemächlich es geht, lässt Wilhelmine sich nach oben gleiten, bemerkt erst Harndrang, dann die Kälte imZimmer. Ohne die Augen zu öffnen, weiß sie, dass noch kein Dämmerlicht das Muster der Vorhänge erkennen lässt.
    Sie ist allein. Mittlerweile kann sie spüren, ob sich jemand im Haus befindet. Sie ist gern allein, eigentlich. Früher waren
     ihr diese Morgenstunden kostbar, jene stille Zeit gegen fünf, sechs Uhr, wenn der Tag noch ganz ihr gehörte und sie mit einer
     Tasse Tee und einem Buch wieder zurück in ihr Bett gekrochen ist, bis die Sonne ins Zimmer brach, meist viel zu bald. Nun,
     da sie nicht einmal mehr aufstehen kann, um zur Toilette zu gehen, wird dieser Reichtum zur Qual. Wann ist es endlich genug?
    Wenn Karin nur käme. Sie muss sie bitten, nach der Heizung zu sehen. Es dauert viel zu lange, bis es morgens im Zimmer warm
     wird. Das war doch früher nicht so. Wenn sie es nur nicht vergisst, Karin ist immer so rasch wieder fort. Sie habe keine Zeit,
     sagt sie. Natürlich hat Karin Zeit, reichlich Zeit.
    Wilhelmine zieht die Decke höher. Liebe heißt geben, ohne etwas dafür zu erwarten. Wilhelmine erwartet nichts. Sie käme liebend
     gerne allein zurecht. Das Alleinsein schreckt sie nicht, beileibe nicht.
    Sie dreht sich behutsam auf den Rücken, fühlt eine dicke Wulst zwischen ihren Beinen. Ach Gott, ja, die verdammte Windel.
     Beißend steigt Scham in ihr auf, sie mag sich nicht daran gewöhnen, an diese widerlichen Dinger, obwohl sie kaum zu spüren
     sind. Sie braucht sie doch gar nicht; es einfach laufen zu lassen, das bringt sie ohnehin nicht fertig.
    Wilhelmine atmet lange aus, tastet mit der Hand nachdem wattigen Paket, in das Karin sie gepackt hat und das sich anfühlt wie die dicken Umschläge, in denen Monika ihr manchmal
     Bücher hat zukommen lassen. Ihre Finger finden eine dünne Kante, einen biegsamen Streifen, gedankenverloren nestelt Wilhelmine
     daran herum, bis er sich löst. Ach herrje, das muss der Verschluss gewesen sein, rasch versucht sie, den Klebestreifen wieder
     festzudrücken, es gelingt ihr nicht, stattdessen liegt die rechte Hüfte jetzt bloß.
    Unten wird die Haustüre geöffnet. Das ist Karin. So wirft nur sie den Schlüsselbund auf ihre Handtasche. Wilhelmine hat noch
     immer gute Ohren. Wenn du mal stirbst, Minchen, hat Albert oft gescherzt, dann muss man dir die Lauscher separat totschlagen.
     Ach, der Albert. Gute Augen wären ihr lieber, die kann man notfalls zuklappen.
    Wilhelmine blinzelt, sieht zum Fenster, es ist noch dunkel, Karin kommt normalerweise nie so früh. Ein wenig unmutig über
     diese ungewohnte Zeit ist sie schon, aber
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