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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman
Autoren: Eva Baronsky
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die Gesichter voller Schmutz. Die beiden Gefesselten sind Männer aus dem Dorf. Einer
     der Soldaten stößt mit dem Gewehr nach ihnen, kommt dann zu ihr, ganz nah, lacht, drängt ihr mit wiegender Bewegung seinen
     Schoß vor das Gesicht, greift in ihre Nackenhaare, reißt ihren Kopf nach hinten, dass sie in den Himmel schaut, sagt etwas
     und spuckt.
    Unendlich langsam rinnt der warme Speichel unter ihrem Auge entlang, über die Wange, droht, ihren Mundwinkel zu streifen.
     Der Soldat lacht wieder, lässt sie los, macht einen Schritt zur Seite und wirft seinem Kumpan das Gewehr zu, die Uniformjacke,
     reißt an seiner Hose, rammt ihr das Knie in den Leib und stößt mit der Faust gegen ihre Schulter, dass sie umkippt und in
     den Acker fällt. Wie ein Baby zieht sie die Knie an, greift mit den Händen darum, rollt sich zur Seite.
    »Bitte, lasst mich«, wimmert sie, leise, als wüsste sie, dass ihre Worte kein Gewicht haben.
    Der Soldat ist jetzt über ihr, zerrt ihr am Rock, erstickt ihr das Wort in der Kehle. Seine Hände drücken ihre Schenkel auseinander,
     heben ihre Beine in die Luft wie bei einem Karnickel, das ausgeweidet werden soll, bis er schließlich zustößt, sich in sie
     rammt, wieder und wieder.
    »Nein!«
    Staraja Mestnostsch. Niemals hat Babka von Staraja Mestnostsch gesprochen, niemals von ihrer Heimat erzählt. Und jede Nachfrage,
     die Jelisaweta zögernd an die Mutter gerichtet hatte, wurde ignoriert, als hätte Jelisaweta nach etwas so Verbotenem wie einem
     Sommerkleid gefragt.
    Niemals hätte jemand zu ihr gesagt:
» Das
haben sie mit deiner Babka gemacht.
Das
haben sie ihr angetan.«
    Mit dem Fuß angelt Jelisaweta nach der Sweatshirtjacke. Was, wenn es wirklich so passiert wäre? Wenn deutsche Soldaten über
     die Babka, über ihre Babuschka, ihre Babulja, hergefallen wären und die Männer des Dorfes dabei hätten zuschauen müssen?
    Wenn die alte Frau, der Jelisaweta seinerzeit in Staraja Mestnostsch begegnet ist, all das miterlebt hätte und doch nicht
     hätte helfen können?
    Und was hätte sein können, wenn das nicht passiert wäre?
     
    Die Straßenlaternen sind lange wieder aufgeflammt, als die Klinke des grünen Zimmers behutsam herabgedrückt wird, leise Tritte
     im Korridor zu hören sind und ein Schatten sich ins Zimmer schiebt. Das Mädchen verharrt, mit vorgebeugtem Oberkörper, wie
     eine Mutter, die nach dem schlafenden Kind sieht, und wie damals gibt Wilhelmine ein leises Schnaufen von sich und reibt über
     die Bettdecke.
    Zögernd kommt die Russin näher und bleibt vor dem Bett stehen, bis Wilhelmine die Decke von der Bettkante zieht. Das Mädchen
     setzt sich, lange liegt nichts als Schweigen im Zimmer, bis die Worte sich wieder in Wilhelmine formen.
    »Ich wollte nicht, dass es damit anfängt. Das wäre kein Anfang gewesen, sondern ein Ende. Das hat sie nicht verdient, so ein
     Ende, hörst du? Sie war doch noch ein Kind!«
    »Ist ja gut …« Eine Hand legt sich weich auf WilhelminesStirn, streicht über ihre Wange. »Musst du nicht erzählen, wenn du nicht willst.«
    Wilhelmine nickt in die Dunkelheit hinein, tastet durch die Räume ihrer Erinnerung wie durch ein lange verlassenes Haus, streicht
     über Türen, befühlt die Wände und spürt, dass die Dunkelheit ihr nichts mehr anhaben kann, spürt überrascht, dass die Gespenster,
     die dort wohnten, längst versteinert sind und zu Staub zerfallen, sobald man sie berührt.
    Alles ist eins.
     
    »Wenn wir nur bei der Oma gewesen wären …« Aber da konnte Wilhelmine nie lange bleiben, nach Josefs Tod nicht mehr. Von dem
     Tag an, als die Nachricht von Josefs Tod sie erreichte, war mit Josefs Mutter kein Auskommen mehr. Sie hat ihre Trauer wie
     eine Monstranz vor sich hergetragen und Wilhelmines darüber vollkommen ignoriert, dabei war er doch Wilhelmines Mann gewesen,
     der Vater ihres Kindes. »Ja, wer weiß, vielleicht hätten wir zu ihr gehen sollen oder in den Bunker, irgendwohin, nur nicht
     in diesem Keller bleiben …«
    Wie ein Schmerz fährt ihr der Gedanke durch den Leib, dieser immer versagte Gedanke, was gewesen wäre. Sie sieht die Gesichter
     vor sich, ein stummer Zirkel der Geeinten, nur ein schwacher Triumph liegt in diesem Verrat.
    »Alle haben es gemacht. Hörst du? Alle. Niemand wäre auf die Idee gekommen, nein zu sagen. Das ging doch gar nicht. Und ich
     hab auch nur an die Erlösung gedacht. An den Ausweg, an alles das, was wir nicht würden erleben müssen. Was sie nicht würde
    
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