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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman
Autoren: Eva Baronsky
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Portion Frühstücksflocken gepickt, erscheint deren Nichte
     mit einem Wäschekorb unter dem Arm.
    »Oh, Sie haben schon alles saubergemacht, Lisa? Das ging aber schnell.« Sie stellt den Korb ab und schaut sich in der Küche
     um. »Hier ist etwas Bügelwäsche, Sie haben mit der Tante ja nicht viel zu tun.« Mit einem zierlichenSchlüssel an ihrem Schlüsselbund sperrt sie eine kleine Klappe in der Diele auf, holt Briefe heraus und stopft sie in ihre
     Handtasche. »So, und nun kommen Sie, ich zeige Ihnen den Weg zum Supermarkt.«
    Es schneit. Scharfe Windböen fegen den frisch gefallenen Schnee wie weiße Wolken von den Tannenzweigen. In Frau Hübners Auto
     dudelt ein deutscher Schlager etwas von Wind und Meer.
    »Der Supermarkt ist gleich dort, die Straße runter.« Frau Hübner verlangsamt den Wagen, zeigt in eine Querstraße. »Da kriegen
     Sie den Eintopf und frisches Brot. Dort drüben ist das Postamt, in der Telefonzelle nebenan können Sie telefonieren, und gleich
     gegenüber ist der Sanitätsladen, da gibt es Windeln. Ich muss noch schnell in die Reinigung, dann fahren wir wieder zurück.«
     Frau Hübner parkt auf dem Gehweg, steigt aus und kommt mit einem Arm voller folienverpackter Pastelltöne zurück.
    »Wir verreisen nämlich ein paar Tage, in die Sonne. Sie kriegen die Tante ja in den Griff, wie ich sehe.«
    »Verreisen? Wer kommt dann Sonntag?«
    »Sonntag?«
    »Ich habe frei an Sonntag.«
    »Ach so … Hm, ja. Nun, Sie brauchen nur alle paar Stunden mal nach ihr zu sehen, zum Essen kommen Sie doch sicher sowieso
     nach Hause. In der Zwischenzeit ziehen Sie ihr einfach Windeln an.«
    »Windeln.« Jelisaweta presst die Lippen aufeinander, betrachtet Frau Hübner von der Seite. Sie hat sich vorgenommen, am Sonntag
     nach Darmstadt zu fahren, um in den vertrauten Straßen umherzubummeln, auch wenn sie wenig Lust verspürt, ihre alte Gastfamilie
     zu besuchen.Aber Frau Hennemann einen ganzen Tag allein lassen? Jelisaweta wird Frau Hübner klarmachen müssen, dass das eine Ausnahme
     ist. »Was ist mit Supermarkt?«
    »Dort unten, einfach die Straße hinunter.« Frau Hübner fährt auf die Hauptstraße.
    »Fahren Sie nicht hin jetzt?«
    »Es ist noch genug da, ich habe für die ganze Woche eingekauft.«
    »Nur Hunde essen immer von Dose«, antwortet Jelisaweta scharf.
    Frau Hübner läuft rot an, ihre Augen werden schmal. Nach einer Weile hebt sie die Schultern, wendet den Wagen in einer Einfahrt.
     »Nun gut, wenn es sein muss, dann kaufen Sie eben etwas anderes.«
    Unter Frau Hübners spitzen Blicken lädt Jelisaweta Äpfel, Weißkohl, Käse, Mehl und Hackfleisch in den Einkaufswagen. Im Geist
     stellt sie einen Speiseplan für die nächsten Tage zusammen, wie sie es zu Hause auch tut, wenn Mama Frühschicht hat und Jelisaweta
     mit Kochen an der Reihe ist.
    »Das wird ja wohl reichen.« Frau Hübner beargwöhnt den vollen Einkaufswagen, sucht am Regal nach dem Preis für den Käse. Demonstrativ
     legt Jelisaweta ein Paket Tee, eine Mango und zwei Tafeln ihrer Lieblingsschokolade obenauf. Schweizer Schokolade, die zergeht
     wie Butter auf der Zunge, an diese Sorte erinnert sie sich noch ganz genau.
    » Jetzt
wird das reichen«, erwidert Jelisaweta. Das seid ihr mir schuldig, denkt sie und sieht Frau Hübner herausfordernd an.

Die Heizung klopft, ansonsten ist es still. Karin ist schon wieder weg, sie hat das Mädchen mitgenommen, wie heißt sie doch
     gleich? So ein nettes Mädchen, fleißig und unaufdringlich. Wilhelmine weiß nicht, wann die beiden wiederkommen oder wohin
     sie gefahren sind. Die jungen Leute ziehen ihre eigenen Kreise, Wilhelmines Bahn berühren sie kaum. Auch wenn sie alles um
     ihretwillen tun. Ein hübsches Mädchen, sie sieht ihr so ähnlich, die Haare … Genau die gleiche Farbe, der gleiche seidenweiche
     Fall, glänzend und dunkel wie Bitterschokolade. Wilhelmine kann sie zwischen ihren Händen spüren, fährt hindurch, wickelt
     eine Strähne um ihren Finger … Ach, nein! Sie muss Karin an die Heizung erinnern, ja, das muss sie. Die Heizung.
    Es ist ein unbequemes Gefühl, das Haus mit jemandem teilen zu müssen. Man verborgt ja auch seine Wäsche nicht. Das Haus verändert
     sich, sobald ein Fremder es bezieht, selbst wenn es das eigene Haus bleibt, es nimmt ein Stück fremder Seele an wie einen
     Geruch. Häuser sind zugänglicher als Menschen.
    Wilhelmine überlegt, ob sie den Seelengeruch dieses Mädchens mag, der sich in ihrem Haus breitmacht. Wie heißt sie noch?
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