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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman
Autoren: Eva Baronsky
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Teppichklopfer zugange? Wie lange hat
     sie dieses Geräusch nicht mehr gehört? Das macht doch kein Mensch mehr, heutzutage, obwohl ein Teppich ja nur mit Klopfen
     richtig sauber wird. Damals in Frankfurt, ja, da wurde noch geklopft, unten im Hof, die Kinder haben an der Teppichstange
     Klimmzüge gemacht, sie hört noch deren Gelächter durch den engen Hof hallen, wenn Wilhelmine ihnen mit gespieltem Ernst und
     hoch erhobenem Klopfer hinterhergerannt ist.
    Energisch pocht der Takt durch den Winternachmittag. Es muss doch bitterkalt sein, da draußen. Ob die junge Frau von nebenan
     …? Nein, die sicher nicht, das kann Wilhelmine sich nicht vorstellen. Sie blättert in derIllustrierten, legt sie lustlos zur Seite, schaltet vorsorglich die Leselampe ein, damit die Dämmerung sie nicht unversehens
     überfällt.
    Kurz darauf kommt das Mädchen die Treppe hinauf, dieses Mal mit schwereren Schritten, sie trägt eine Teppichrolle ins grüne
     Zimmer.
    So ein braves Kind. Wilhelmine lächelt. Es ist gut, so eine im Haus zu haben, Geld hin, Geld her.
    Das wird teuer werden, so eine Rundumpflege, hat Karin gesagt, da wird bald die ganze Rente für draufgehen. Wilhelmine war
     erschrocken. Beruhige dich, hat Karin gesagt, du bist ja nicht allein, wir helfen dir schon. Wilhelmine lehnt sich zurück.
     Ja, sie ist ganz ruhig jetzt, das Mädchen ist ja da. Wilhelmine muss sie unbedingt nach ihrem Namen fragen.
    »Fräulein …?«
    Das Mädchen tritt ein, nimmt die leere Tasse, Wilhelmine greift nach ihrer Hand, drückt sie sachte. Sie ist warm und weich
     und erschreckend lebendig. »Sie sind ja so fleißig, liebes Kind. Seien Sie bitte so nett und schalten das Licht ein, bitte.
     Es wird ja schon bald dunkel. Vielen, vielen Dank.«
    Die andere nickt wortlos, macht Licht und huscht davon.

Frau Hennemann schläft. Ihre Hände ruhen auf einer zerlesenen Zeitschrift. Jelisaweta tritt näher, betrachtet das welke Gesicht,
     den schmalen Brustkorb, der sich ganz sachte hebt und senkt. Befriedigt nimmt sie den leerenAbendbrotteller vom Nachttisch, greift nach dem schnurlosen Telefon und verlässt leise das Zimmer.
     
    »Ja, Mama, ich bin gut angekommen.«
    »Wo bist du jetzt?«
    »Im Haus der alten Frau. Ein kleines Haus, sehr ruhig und im Grünen, und die alte Frau ist ganz friedlich.«
    »Wieso im Grünen? Ich dachte, du gehst nach Frankfurt!«
    »Es ist etwas außerhalb, so eine Art Vorort.«
    »Aha.« Jelisaweta hört, wie Mama an der Zigarette zieht. »Dann hast du umsteigen müssen?«
    »Nein, der Neffe der alten Frau hat mich in Frankfurt abgeholt, mit dem Auto, ich weiß nicht, ob hier ein Zug …«
    »Wo ist er jetzt?« Mamas Stimme bekommt wieder diesen Tonfall, bei dem Jelisaweta sich automatisch dumm stellt.
    »Wer? Der Zug?«
    »Dieser Mann, dieser Neffe!«
    Er krault mir die Füße, reizt es Jelisaweta, zu sagen, doch sie stöhnt nur leise, so leise, dass Mama es nicht mitbekommt.
    »Hör zu, Mama, ich bin allein in diesem Haus, allein mit einer Neunzigjährigen. Hier ist sonst niemand. O. k.?«
    Mama schweigt, es rauscht, also bläst sie Zigarettenqualm oder Atemluft in den Hörer.
    »Telefonierst du mit deinem Handy?«
    »Nein, Mama, ich hab doch noch keine Karte.«
    »Lass dir eine von denen bezahlen, das sind sie dir schuldig, hörst du?«
    »Ja, ist ja gut, Mama, ich weiß. Ich benutze das Telefon von der Oma.«
    »Gut so, gib mir für alle Fälle die Telefonnummer, Lisotschka.«
    Jelisaweta lässt ihren Finger über die Telefonliste gleiten, doch da steht nichts von Hennemann. Sie will schon verneinen,
     da fällt ihr der Aufkleber auf dem Hörer auf. DEINE NUMMER, steht in großen roten Buchstaben darauf. »Schreibst du mit, Mama?
     Hast du Mascha gesehen?«
    »Ich sag ihr, dass du sie morgen anrufst. Am Nachmittag, sie hat Frühschicht.«
    »Das weiß ich doch, Mama.«
    »Wer ist noch bei dir?«
    »Niemand, Mama. Das ist nur der Fernseher.«
    »Bestimmt?«
    Jelisaweta unterdrückt ein Seufzen. »Hier ist nur die alte Frau. Die schläft.«
    »Denk daran, Lisotschka, dass du dich nicht mit Männern einlässt. Schon gar nicht mit deutschen.«
    »Ist gut, Mama! Ich rufe morgen wieder an.«
     
    Jelisaweta verschließt die Haustür, lässt Badewasser in die frisch geschrubbte Wanne laufen, findet einen Badezusatz, auf
     dem etwas von Entspannung steht, und legt sich ins warme Wasser. Sie könnte nicht sagen, was sie mehr angestrengt hat: die
     drei Tage lange Busreise oder die fünf Minuten, die sie mit Mama
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