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Magma

Magma

Titel: Magma
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Stundenkilometern über die Piste zu kriechen und zu hoffen, dass er noch rechtzeitig ankam. Er schaltete das Radio ein. Etwas Musik würde ihm gut tun. Doch alles, was ihm aus den Lautsprechern entgegenschlug, war ein statisches Rauschen. Er drehte an dem Senderegler, vergeblich. Das Gewitter überdeckte sämtliche Funkwellen. Nach ein paar Versuchen schaltete er ab und starrte wieder nach draußen. Wollte es denn heute überhaupt nicht mehr Tag werden? Während sich das Auto Meter um Meter den Berg hinaufquälte, suchten seine Augen den Himmel nach einem Zeichen für einen Wetterumschwung ab. Doch alles was er sah war eine apokalyptische Finsternis.
    Etwa zehn Minuten später erreichte er schließlich den eingeebneten Felsvorsprung, an dessen Stirnseite sich das Tor befand. Mit einem Aufheulen des Motors legte er das letzte Stück zurück, ehe er auf die Bremse trat und kurz vor dem Tor zum Halten kam. Er ließ den Motor laufen und zog die Handbremse an. Den Mantelkragen hochgeschlagen, stürmte er hinaus und rannte im strömenden Regen auf den Einlass zu. Schon nach wenigen Metern war er von oben bis unten nass. Das Wasser lief in seinen Kragen und den Rücken hinab. Noch ein paar Schritte, dann hatte er es geschafft. Direkt vor dem Eingang war der Regen nicht ganz so heftig. Der steinerne Torbogen bot ihm Schutz vor den herabstürzenden Wassermassen. Seine Hände tasteten über die vernietete und von Rost zerfressene Oberfläche des Metalltores. Endlich hatte er gefunden, wonach er suchte. Ein schmales Quadrat, kaum sichtbar für jemanden, der mit dem Öffnungsmechanismus nicht vertraut war. Er rieb seine Handfläche ein paarmal über seine Hose, dann presste er sie mit weit gespreizten Fingern auf das Feld. Für einen Moment leuchtete das Metall unter seinen Fingern auf, und einen Augenblick später war aus dem Inneren des Berges ein scharfes Klicken zu hören, gefolgt von einem tiefen Rumpeln. Der Mann nickte grimmig, dann rannte er zurück zu seinem Auto und setzte sich wieder hinters Lenkrad. In der Mitte des Tores zeichnete sich ein heller Streifen ab. Gleißendes Licht fiel durch die größer werdende Öffnung und ergoss sich über den Felsvorsprung und das Auto. Er musste die Augen zusammenkneifen, um nicht geblendet zu werden. Als die Öffnung breit genug war, löste er die Handbremse, trat aufs Gas und lenkte das Fahrzeug ins taghell erleuchtete Innere des Berges.
    Wenige Minuten später hatten sich die schweren Tore hinter ihm wieder geschlossen. Der prasselnde Regen verwischte alle Spuren, und nichts mehr deutete darauf hin, dass hier vor kurzem jemand gewesen war.

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    H
erzlich willkommen Noddy
, lautete die Botschaft, die Ella in weißen Kreidelettern von der Tafel herab entgegenleuchtete. Der Gruß wurde von einer kleinen Zeichnung begleitet, die eine Frau mit wehendem Haar und orangefarbenem Rucksack darstellte, die am Rande einer Klippe stand und auf einen See blubberndem, rotglühendem Magma blickte.
    Der große Hörsaal war brechend voll. Alle sechshundertfünfzig Sitzplätze waren besetzt. Selbst auf den Stufen rechts und links der Bankreihen drängten sich die Studenten. Einige machten einen wissbegierigen Eindruck, andere wiederum sahen aus wie Schaulustige, die darauf zu warten schienen, dass die berüchtigte Ella Jordan sich blamieren würde.
    Beim Anblick der vielen erwartungsvollen Gesichter rutschte ihr das Herz in die Hose. Wie sollte sie jemals mit so vielen Studenten fertig werden? Besaß sie genügend Autorität – oder Charisma? Sie war sich durchaus bewusst, dass die Qualität eines Unterrichts nicht ausschließlich von der fachlichen Qualifikation bestimmt wurde. Vielmehr bestand das Geheimnis des Erfolges darin, sich Respekt und damit Gehör zu verschaffen. Da mochte ein Mensch noch so gelehrt sein, wenn es ihm nicht gelang, sein Wissen auch weiterzugeben, war alles vergeblich.
    Inzwischen hatten die ersten Studenten mitbekommen, dass ihre Professorin anwesend war. Die Gespräche erstarben und in die Reihen kehrte Ruhe ein. Ella spürte, dass sie jetzt etwas sagen musste. Beherzt ging sie nach vorn und betrat das Podium, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt.
    »Guten Morgen«, begrüßte sie ihre Zuhörer so beiläufig wie möglich. Die Studenten sollten gleich den Eindruck bekommen, dass sie hier alles im Griff hatte. »Herzlich willkommen zu meiner Vorlesung
Geotektonik I
.« Sofort spürte sie, dass etwas nicht in Ordnung war. Ihre Stimme klang dünn und
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