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Magma

Magma

Titel: Magma
Autoren: Thomas Thiemeyer
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gewöhnen. Übrigens, nennen Sie mich doch Ella. Ich mag dieses förmliche
Sie
eigentlich nicht so besonders.«
    »Sehr gern … Ella. Ich war schon im ganzen Haus auf der Suche nach dir«, murmelte Bob, dem seine Vergesslichkeit anscheinend peinlich war. »Dass wir ja jetzt ein eigenes Büro haben, ist mir nicht im Traum eingefallen. Wirklich zu blöd …«
    Ella musste lächeln. Er war genauso nervös wie sie. »Mach dir nichts draus«, tröstete sie ihn. »Wenn erst dein Tisch und deine persönlichen Dinge hier sind, wird es dir leichter fallen, dich einzuleben. Wie gefällt dir der Platz dort drüben am Fenster?«
    Bob sah sich die Stelle an und nickte. »Ein wunderschöner Blick über das Uni-Gelände. Die Platanen bekommen die ersten Blätter. Bist du sicher, dass du den Platz nicht selbst haben willst?«
    Sie nickte. »Das ist schon in Ordnung. Ich mache mir nichts aus einer schönen Aussicht. Das lenkt nur von der Arbeit ab. Ich hatte in der Schule einige Zeit eine schöne Aussicht – die Zensuren sind dann auch prompt in den Keller gesackt.« Sie lächelte. »Außerdem habe ich es mir hier drüben schon gemütlich gemacht«, sie deutete auf ihren Tisch in der Ecke, neben dem sich ein Regal mit zahlreichen Büchern, eine Pinnwand und zahlreiche Pflanzen befanden. »Ich habe wirklich keine Lust, alles wieder umzuräumen«
    Bob Iverson schlenderte zu ihr herüber und betrachtete die Fotos an der Pinnwand. Auf einmal beugte er sich vor, hob ein Bild auf, das auf den Boden gefallen war. Er warf einen Blick darauf, dann reichte er es Ella. Es war die Aufnahme eines kleinen Mädchens mit blonden, kurzgeschnittenen Haaren. Sie trug eine Sonnenbrille, die sie hochgeschoben hatte, so, wie die Filmstars es immer taten. Ihr Lächeln zeigte eine freche Zahnlücke.
    »Sehr hübsch.«
    »Das ist Cathy.« Ella spürte einen Kloß im Hals.
    »Deine Tochter?«
    Sie nickte.
    »Niedlich. Wie alt ist sie auf dem Bild?«
    »Vier«, sagte Ella, »aber das Foto ist schon sechs Jahre alt. Cathy wird im nächsten Monat zehn.«
    »Die Familienähnlichkeit ist nicht zu verleugnen. Sie hat deine Augen und deinen Mund«, bemerkte er lächelnd. »Hast du denn keine neueren Aufnahmen?«
    Ella schluckte. »Leider nicht«, murmelte sie. »Ich habe keine Ahnung, wie sie jetzt aussieht. Ungefähr zu der Zeit, als die Aufnahme gemacht wurde, habe ich sie zum letzten Mal gesehen.«
    Bob blickte sie erschrocken an. »Ihr ist doch hoffentlich nichts zugestoßen.«
    Ella schüttelte den Kopf. »Nein. Es geht ihr gut. Glaube ich jedenfalls.« Ihre Stimme begann brüchig zu werden.
    »Bitte entschuldige«, sagte Bob nach einer kurzen Pause, »ich habe wirklich ein besonderes Talent, kein Fettnäpfchen auszulassen. Das geht mich natürlich nichts an.«
    Ella atmete tief durch. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte sie. »Ich habe mich schon vor langer Zeit damit abfinden müssen, dass Cathy eine neue Familie hat. Ich hatte mir zwar gewünscht, sie wenigstens ab und zu sehen zu dürfen, oder zumindest Briefkontakt mit ihr zu haben, aber mein Ex möchte das nicht.«
    »Scheint ein ziemliches Arschloch zu sein, wenn du mich fragst.«
    Sie lächelte traurig. »Wenn’s nur so wäre. Das hätte es mir leichter gemacht, ihm die Schuld für unsere gescheiterte Ehe in die Schuhe zu schieben. Nein, Tatsache ist, es war
mein
Fehler. Ich konnte meiner Familie nicht das Leben bieten, das sie von mir erwartete. Die Enge und die vielen Verpflichtungen haben mich krank gemacht. So krank, dass mir selbst der Seelenklempner nicht helfen konnte.« Sie zuckte die Schultern. »Deshalb habe ich schweren Herzens zugestimmt, als Steven mir anbot, Cathy nach unserer Trennung zu sich zu nehmen. Wir sind übereingekommen, dass es für Cathy das Beste wäre, einen klaren Schlussstrich zu ziehen. Kinder brauchen Kontinuität und Sicherheit. Keine Besuche oder sonst wie gearteten Kontakte. Keine Telefonanrufe, keine E-Mails, keine Briefe. Und keine Fotos.«
    »Ganz schön hart«, murmelte Bob.
    Sie seufzte. »Zu sehen, wie mein Mädchen heranwächst, hätte in mir den Wunsch geweckt, sie wiederzusehen. Ein sehr egoistischer Wunsch. Ich habe gehört, dass es ihr gut geht und dass sie ihre neue Mami sehr lieb hat. Das muss mir genügen.«
    Bob schien es angesichts dieses Geständnisses die Sprache verschlagen zu haben. Eine Pause trat ein. Ella blickte zur Uhr. Der schwarze Zeiger war unerbittlich vorgerückt. Der Lärm, der von der anderen Seite der Tür zu ihnen
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