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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
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Mit dem Doppelselbstmord von Moretta und Lykanthrop hatten Sie auch leichtes Spiel und schienen wieder nichts damit zu tun zu haben. Ophelia, die unter Suggestion handelte, vielleicht auch in Ihrem direkten Auftrag, erklärte bei der Seance, daß in der kommenden Nacht dem Auserwählten ein Bote ganz in Weiß erscheinen und ihm eine Nachricht bringen werde. Das Kalkül war richtig: Die Mitglieder des Klubs sind empfängliche Menschen und neigen großenteils zur Hysterie. Es wundert mich, daß nur zweien in jener Nacht der weiße Bote im Traum erschien. Allerdings war der ruppige schwarzäugige Unbekannte, nach dem Abschiedsgedicht des Jünglings zu urteilen, auf ganz normalem Weg erschienen, durch die Tür; das Mädchen hingegen hatte von einem helläugigen Boten geträumt, der das Fenster bevorzugte, aber wer wird an einer mystischen Vision kleinlich herumkritteln?«
    »Humbug«, fauchte Prospero. »Verantwortungslose Mutmaßungen. Schreib, Horatio, schreib. Wenn es mir bestimmt ist, von der Hand dieses Verrückten zu sterben, soll das Verbrechen nicht ungesühnt bleiben.«
    Ich blickte verwirrt zu Gendsi. Der nickte mir beruhigend zu.
    |279| »Seien Sie unbesorgt. Wir kommen jetzt zu den Beweisen. Die hat mir der Fall Abaddon geliefert; er starb einen Tag, bevor ich die Ermittlung aufnahm. Die Spur war noch ganz frisch, der Mörder hatte keine Zeit gehabt, sie zu verwischen.«
    »Der Mörder?« fragte ich. »Dann war es Mord?«
    »So sicher, als wäre der Student durch den Strang hingerichtet worden. Es begann, wie auch in den übrigen Fällen, mit dem Urteil, das die hypnotisierte Ophelia sprach. Und es endete mit den ›Zeichen‹: dem Geheul eines wilden Tieres oder, genauer, der grausigen, nicht menschlichen Stimme, die etwas wie ›stirb, stirb‹ schrie. Die Stimme hörten auch die Nachbarn, also war es keine Halluzination. Ich habe mir die Wohnung aufmerksam angesehen und etwas Interessantes entdeckt. Die Angeln und das Schlüsselloch der Tür, die zur Hintertreppe führte, waren sorgfältig geölt, und zwar erst vor kurzem. Ich habe das Türschloß mit der Lupe untersucht und an den frischen Kratzern gesehen, daß es ein paarmal mit dem Schlüssel aufgeschlossen wurde, aber nur von außen, von innen wurde kein Schlüssel eingeführt. Der Mieter wird ja wohl nicht bei offener Hintertür gelebt haben. Also hat irgendwer sie aufgeschlossen, hat die Wohnung betreten, dort irgend etwas getan und ist wieder gegangen.
    Als ich die Wohnung im Schutze der Nacht noch einmal aufsuchte, habe ich mich gründlicher umgesehen, in der Hoffnung, Spuren einer technischen Vorrichtung zu finden, die Laute hervorbringen kann. Über dem Küchenfenster entdeckte ich zwei dünne Bleirohre, wie sie für pneumatische Klingeln verwendet werden, beide kunstvoll hinter Stuck getarnt, die Öffnungen mit Stöpseln verschlossen. Ich zog die Pfropfen heraus, aber nichts geschah. Ich dachte schon, es wäre eine Neuerung der Belüftungstechnik, aber da kam |280| Wind auf, die Scheiben vibrierten, und ich hörte deutlich ein tiefes, dumpfes Geheul: Iiirb, iiirb. In der dunklen, düsteren Wohnung klang das wirklich schauerlich. Ohne jeden Zweifel kamen diese Laute aus den verborgenen Rohren. Ich steckte die Pfropfen wieder hinein, und das Geheul verstummte. Etwas Ähnliches haben die alten Ägypter in den Pyramiden angewandt, um Grabschänder abzuschrecken. Unterschiedlich gestaltete Rohre, im Durchzug angebracht, vermochten ganze Wörter und sogar Sätze hervorzubringen. Sie, Herr Blagowolski, waren doch früher Ingenieur, und anscheinend ein begabter, nicht wahr? Die Anfertigung dieser im Grunde schlichten Konstruktion machte Ihnen keine Mühe. Nun wurde mir auch klar, was für eine Rolle der Hintereingang spielte. Der Unmensch, der darauf aus war, den jungen Mann in den Selbstmord zu treiben, wählte eine windige Nacht, ging leise in die Küche, zog die Pfropfen aus den Rohren und entfernte sich in aller Seelenruhe, seines Erfolgs gewiß. Mir war bekannt, daß Sie die Wohnung für den armen Studenten gemietet und eingerichtet hatten. Erstens. Nach Aussagen der Nachbarn verstummte das Tier erst am Morgen, obwohl sich Nikifor Sipjaga eine Weile vor Tagesanbruch aufgehängt hatte. Zweitens. Fragt sich, wozu sollte das Tier jemanden ins Jenseits rufen, der schon wohlbehalten dort angekommen war? Da fielen mir Ihre Worte ein, wonach Sie sich Sorgen um den jungen Mann gemacht und ihn deshalb in aller Herrgottsfrühe aufgesucht hatten. Zu dem
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