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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
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Gendsi sich zur Seite drehen.
    »Ja, ich beschuldige Sie. Der infamsten Spielart des Tötens – der Anstiftung zum Selbstmord. Aber ich beschuldige auch mich selbst, weil ich zwei unverzeihliche Fehler |276| gemacht habe. Das erstemal hier in diesem Kabinett, als Sie, kunstvoll Lüge und Wahrheit miteinander verflechtend, vor mir ein Spektakel aufführten und sich als gutmütiges Schaf hinstellten. Das zweitemal ließ ich mich täuschen, als ich den Schwanz des Teufels für den Teufel selbst hielt.« Gendsi legte den Revolver auf den Tischrand. »Sie sind sich Ihrer Handlungen bewußt, haben einen nüchternen Verstand und planen Ihr Vorgehen viele Züge im voraus, dennoch sind Sie geisteskrank, von Machtgier besessen. Bei unserem letzten Gespräch haben Sie das selbst eingestanden – mit einer so gewinnenden Offenheit, mit einer solchen Grimasse der Unschuld, daß ich mich aufs Glatteis führen ließ. Ach, hätte ich doch an jenem Abend, als Sie den Pokal zerschlugen, ein wenig von der Flüssigkeit zur Analyse mitgenommen. Ich bin sicher, daß es kein Schlafmittel war, wie Sie behaupteten, sondern Gift. Weshalb hätten Sie sonst dieses Beweisstück vernichtet? Leider habe ich zu viele Fehler gemacht, und das ist uns teuer zu stehen gekommen …«
    »Der Mechanismus Ihrer Manie ist mir klar«, führte Gendsi weiter aus. »Seinerzeit wollten Sie dreimal Schluß machen und bekamen es dreimal mit der Angst. Als Kopf des Selbstmörderklubs glaubten Sie, Ihre Schuld vor dem TOD zu sühnen, indem Sie ihm als Ersatz für sich junge Menschen in den unersättlichen Rachen warfen. Sie kauften sich mit dem Leben anderer vom TOD frei. Wie Sie sich doch gefielen in der Rolle des mächtigen Zauberers Prospero, der hoch über den gewöhnlichen Sterblichen schwebt! Ich werde mir nie verzeihen, daß ich Ihnen Ihr Märchen von der Rettung verirrter Seelen glaubte. Sie haben niemanden gerettet. Im Gegenteil, aus der romantischen Schwärmerei junger Menschen, hervorgebracht von unserer unsicheren Epoche, einer Schwärmerei, die in neunundneunzig von hundert |277| Fällen von selbst wieder vergangen wäre, haben Sie geschickt den Keim der Todessehnsucht gezüchtet. Oh, Sie sind ein geschickter Gärtner, der vor keinem Trick zurückschreckt. Die berüchtigten ›Zeichen‹ haben Sie sich selbst ausgedacht, wobei Ihnen manchmal günstige Umstände zu Hilfe kamen, doch meist haben Sie sie eigenhändig fabriziert. Sie sind ein hervorragender Psychologe, Blagowolski, und haben untrüglich den wundesten Punkt Ihrer Opfer herausgefunden. Zudem beherrschen Sie, wie ich feststellen konnte, auch vortrefflich die Technik der Hypnose!«
    Das ist die reine Wahrheit! Ich habe mehrfach bemerkt, was für eine magische Kraft Prosperos Blick hat, besonders bei weichem Kerzenlicht. Ich hatte stets das Gefühl, daß diese schwarzen Augen mich bis in die geheimsten Tiefen der Seele durchdringen! Hypnose – aber natürlich, das erklärt alles!
    »Ich bin spät in Ihre Gemeinde gekommen«, fuhr Gendsi fort. »Ich weiß nicht, wie Sie den Photographen Swiridow und den Lehrer Soimonow in den Selbstmord getrieben haben. Zweifellos erhielten beide irgendwelche ›Zeichen‹ vom TOD, und ganz bestimmt nicht ohne Ihr Zutun, aber jetzt lassen sich die Ereignisse nicht mehr rekonstruieren. Während der spiritistischen Sitzungen benannte Ophelia die Todeskandidaten. Damit hatten Sie scheinbar nichts zu tun. Aber ich bin kein Neuling auf dem Gebiet und wußte sofort, daß zwischen Ihnen und dem Medium eine hypnotische Verbindung bestand – Sie vermochten sich mit ihr ohne Worte zu verständigen. Wie die Spiritisten sagen, sie war auf Ihre Emanation ausgerichtet – ein Blick, eine Geste, eine Anspielung genügten, und Ophelia erriet Ihren Willen und gehorchte ihm. Sie konnten ihr suggerieren, was Sie wollten, das Mädchen war nur das Sprachrohr Ihrer Lippen.«
    »Sehr lyrisch«, brach Blagowolski zum erstenmal während |278| der Anklagerede sein Schweigen. »Und vor allem sehr beweiskräftig. Meines Erachtens bin nicht ich geistesgestört, sondern Sie sind es, Herr Gendsi. Glauben Sie etwa, die Behörden werden Ihre Phantasien anhören?«
    Er hatte sich vom ersten Schock erholt, verschränkte die Hände vor der Brust und blickte Gendsi unverwandt an. Ein starker Charakter, dachte ich. Da hat die Sichel einen Stein getroffen.
    »Schreiben Sie, Horatio, schreiben Sie«, befahl mir Gendsi. »So ausführlich wie möglich. Hier ist alles wichtig. Die Beweise kommen noch.
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