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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
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Augenblick der Kleopatra
     
    Als Colombina auf der gewaltigen Lagerstatt, die nun doch nicht zum Altar der Liebe geworden war, erwachte, war es bis zum Abend noch lange hin. Sie aalte sich im weichen Pfühl, |26| telephonierte dann mit dem Empfang und verlangte Kaffee, den sie zur Feier des neuen verfeinerten Lebens ohne Sahne und Zucker trank. Er war bitter und schmeckte nicht, paßte aber zur Boheme.
    Nachdem sie ihre Rechnung bezahlt und ihre Koffer in die Gepäckaufbewahrung gegeben hatte, durchblätterte sie im Foyer die »Moskauer Gouvernementsnachrichten« und schrieb sich ein paar Wohnungsanzeigen heraus, Häuser mit mindestens drei Etagen, die eine Dachwohnung hatten.
    Sie feilschte mit dem Kutscher, der drei Rubel verlangte, während sie nur einen geben wollte; man einigte sich auf einen Rubel vierzig. Das war ein guter Preis, zumal der Kutscher eingewilligt hatte, das Fräulein zu allen vier Adressen zu fahren, aber letztendlich hatte sie doch zuviel gezahlt, da ihr gleich die erste Wohnung, mitten im Zentrum, im Bezirk Kitaigorod, so gut gefiel, daß sie nicht mehr weiterzufahren brauchte. Sie versuchte, den Kutscher mit einem Rubel abzuspeisen (auch das war schon reichlich für eine Viertelstunde Fahrt), doch er verblüffte die Provinzlerin mit dem Satz: »Bei uns in Moskau hält auch der größte Spitzbube sein Wort.« Da errötete sie und zahlte, bestand aber darauf, daß er noch ihr Gepäck aus dem »Elysium« herschaffte.
    Die Wohnung war wunderbar und die Miete für Moskauer Verhältnisse günstig, ein Monat kostete soviel wie eine Nacht im »Elysium«. In Irkutsk freilich hätte sie dafür ein ganzes Haus mit Garten und Bedienung bekommen, aber hier war schließlich nicht die sibirische Einöde, sondern die Metropole.
    Auch hatte sie in Irkutsk noch nie so hohe Häuser gesehen. Fünf Stockwerke! Der Hof gepflastert, da wuchs kein Grashalm. Man spürte sogleich, daß man in einer richtigen Stadt lebte und nicht im Dorf. Das Gäßchen, auf das die Fenster ihres Zimmers blickten, war sehr schmal. Wenn sie in |27| der Küche auf den Hocker stieg und durch das Lüftungsfensterchen spähte, konnte sie die Türme des Kreml und des Museums für Geschichte sehen.
    Zwar war es keine Mansardenwohnung, wie Colombina geträumt hatte, aber sie lag immerhin im obersten Geschoß. Überdies war sie voll möbliert, hatte Gasbeleuchtung und einen amerikanischen Eisenherd. Und die Wohnung selbst! Colombina hatte noch nie etwas so Verrücktes gesehen.
    Zuerst kam man in eine kleine Diele. Rechterhand war die Tür zum Wohnzimmer, von dort ging es links in die kleine Küche und wieder links durch einen kleinen Gang zum Bad, das ein Waschbecken und eine Wanne hatte, und von dort führte ein Korridor wieder in die Diele. All das bildete einen Kreis, den irgendwer zu irgendwelchen Zwecken so projektiert hatte.
    Das Zimmer hatte einen Balkon, in den sich die frischgebackene Moskauerin sofort verliebte. Er war breit und hatte ein Eisengitter, in das – bestechend durch seine Sinnlosigkeit – eine Pforte eingelassen war. Vielleicht hatte der Baumeister von außen eine Feuertreppe anbauen wollen und es sich dann anders überlegt?
    Colombina zog den klemmenden Riegel zurück, öffnete die schwere Pforte, blickte hinab. Weit weg, tief unter ihren Schuhspitzen, fuhren winzige Kutschen, krochen spielzeugkleine Menschlein. Das war so wundervoll, daß die Himmelsbewohnerin sogar zu singen begann.
    Auf der gegenüberliegenden Seite blinkte, etwas tiefer, ein Blechdach. Darunter ragte bis fast in die Mitte der Gasse eine sonderbare Blechfigur: ein wohlgenährter Engel mit weißen Flügeln, an dem ein Schild hing: »VERSICHERUNGSGESELLSCHAFT MÖBIUS UND SÖHNE.
Mit uns haben Sie nichts zu fürchten
.« Herrlich!
    |28| Es gab aber auch Minuspunkte, wenngleich unwesentliche.
    Kein Fahrstuhl, das ging noch hin, wie lange brauchte sie schon bis zum fünften Stock?
    Etwas anderes machte ihr Sorgen. Der Wirt hatte die künftige Mieterin redlicherweise gewarnt, es könne Mäuse geben oder, wie er sagte, »kleine Hausnager«. Im ersten Moment war Colombina irritiert gewesen, denn vor Mäusen hatte sie schon als Kind Angst gehabt. Wenn sie nachts das Kratzen der winzigen Pfötchen auf dem Fußboden hörte, kniff sie die Augen so fest zu, daß sie unter den Lidern glühende Kreise sah. Aber das war in ihrem früheren Leben, sagte sie sich sogleich. Colombina hingegen ist ein leichtsinniges, unbekümmertes Wesen, das sich von nichts
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