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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
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verwegene Colombina im wehenden blutroten Überwurf, auf dem Kopf ein perlenbesticktes Mützchen mit Straußenfeder. Sie würde unbekümmert lächeln und sagen: »Wie aus heiterem Himmel, stimmt’s? Du kannst mit mir machen, was du willst.« Ihm würde natürlich die Luft wegbleiben von solcher Kühnheit und vom Empfinden seiner grenzenlosen Macht über dieses zarte, wie aus Äther gewobene Geschöpf. Er würde sie um die Schultern fassen, sich mit gierigem Kuß an ihren weichen, nachgiebigen Lippen festsaugen und sie in das von geheimnisvollem Dämmerlicht erfüllte Boudoir ziehen. Vielleicht aber würde er mit der Leidenschaft eines jungen ungezügelten Satyrs gleich auf dem Fußboden der Diele von ihr Besitz ergreifen.
    Ihre lebhafte Phantasie malte ihr sofort die leidenschaftliche Szene inmitten von Schirmständern und Galoschen aus. |21| Die Reisende verzog das Gesicht und richtete den nichts sehenden Blick auf die Ausläufer der Uralberge. Sie erkannte: Den Altar der bevorstehenden Opferung mußte sie selbst vorbereiten, dabei durfte sie nichts dem Zufall überlassen. Und da tauchte in ihrer Erinnerung das wundersame Wort »Elysium« auf.
    Nun, die fünfzehn Rubel teure Dekoration war des heiligen Rituals wohl würdig.
    Mascha, nein, nicht mehr Mascha, sondern Colombina ließ zärtlich den Blick über die mit lila Atlasmoiré bespannten Wände gleiten, betrachtete dann den gemusterten flauschigen Teppich und die luftigen Möbel auf gebogenen Beinchen und warf einen scheelen Blick auf die nackte Najade im üppigen Goldrahmen (was zuviel ist, ist zuviel).
    Und da bemerkte sie auf dem Tischchen vorm Spiegel einen noch luxuriöseren Gegenstand, nämlich ein richtiges Telephon! Ein Telephon direkt im Zimmer! Man denke nur!
    Sofort kam ihr eine Idee, noch effektvoller als die ursprüngliche, einfach vor seiner Tür zu stehen. Da konnte sie stehen, und er war vielleicht gar nicht zu Hause. Überdies wäre das doch recht provinziell und unverfroren. Und was sollte sie eigentlich dort, wenn ihr Fall (der zugleich ein schwindelerregender Höhenflug sein mußte) hier stattfinden würde, auf dem katafalkartigen Bett mit den geschnitzten Säulchen und dem schweren Baldachin? Und Telephonieren, das war modern, elegant,
hauptstädtisch
.
    Petjas Vater war Arzt, der mußte zu Hause Telephon haben.
    Colombina nahm von dem Tischchen die elegante Broschüre »Moskauer Telephonanschlüsse« und schlug sie – na bitte – gleich bei dem Buchstaben »L« auf. Da: »Terenzi |22| Saweljewitsch Lilejko, Dr. med., 3128.« War das etwa kein Wink des Schicksals?
    Sie stand ein Weilchen vor dem lackierten Kasten mit den blanken Metallbügeln und konzentrierte sich. Mit einer raschen Bewegung drehte sie die Kurbel, und als eine blecherne Stimme »Vermittlung« sagte, sprach sie die vier Ziffern.
    Während sie wartete, ging ihr plötzlich auf, daß der zurechtgelegte Satz für das Telephongespräch ungeeignet war. »Aus heiterem Himmel?« würde Petja fragen. »Wer spricht denn da? Und warum sollte ich mit Ihnen etwas machen, gnädige Frau?«
    Um sich ein Herz zu fassen, öffnete sie das auf dem Bahnhof erstandene beinerne Zigarettenetui aus Japan und zündete die erste Papirossa ihres Lebens an (die Pachitos, die Mascha einmal in der fünften Klasse gepafft hatte, zählten nicht – damals hatte sie noch nicht gewußt, daß man den Tabakrauch einatmen muß). Sie stützte den Ellbogen auf das Tischchen, wandte sich halb dem Spiegel zu, senkte leicht die Lider. Nicht schlecht, interessant und sogar ein wenig geheimnisvoll.
    »Hier bei Doktor Lilejko«, sagte eine Frauenstimme im Hörer. »Wen möchten Sie sprechen?«
    Die Raucherin war etwas verwirrt – sie hatte gedacht, Petja würde an den Apparat gehen, doch sie schalt sich sogleich. So was Dummes! Natürlich lebte er nicht allein. Da waren seine Eltern und die Dienerschaft und vielleicht auch Geschwister. Eigentlich wußte sie nur sehr wenig über ihn: daß er Student war, Gedichte schrieb und wunderbar über die Schönheit des tragischen Todes reden konnte. Und daß er viel besser küßte als Kostja Lewondini, ihr ehemaliger zukünftiger Verlobter, dem sie den Laufpaß gegeben hatte wegen seiner Bravheit und Langweiligkeit.
    |23| »Ich bin eine Bekannte von Pjotr Terenzijewitsch«, stammelte Colombina höchst trivial. »Mein Name ist Mironowa.«
    Gleich darauf ertönte im Hörer der wohlbekannte Bariton mit zauberhaft gedehnter Moskauer Aussprache:
    »Hello? Frau Mironowa? Die
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