Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
sich die Klubmitglieder. Wir sind alle Dichter. Zwölf Personen sind wir, immer zwölf. Und Prospero ist unser Doge. Das ist so was wie der Vorsitzende. Normalerweise wird ein Vorsitzender gewählt, bei uns aber nicht; der Doge |34| entscheidet, wer als Mitglied aufgenommen wird und wer nicht.«
    Colombina war beunruhigt.
    »Aber wenn ihr nur zwölf sein dürft, was ist dann mit mir? Dann bin ich doch überzählig?«
    Petja sagte geheimnisvoll: »Wenn einer der Anwärter sich vermählt, kann ein Neuling den frei gewordenen Platz einnehmen. Selbstverständlich trifft die letzte Entscheidung Prospero. Aber bevor ich dich in sein Haus einführe, mußt du schwören, keinem Menschen jemals weiterzuerzählen, was ich dir gesagt habe.«
    Sich vermählt? Frei gewordener Platz? Colombina hatte nichts begriffen, aber sie rief sogleich: »Ich schwöre bei Himmel, Erde, Wasser und Feuer, daß ich schweigen werde!«
    Auf den Nachbarbänken drehte man sich nach ihr um, und Petja legte den Finger an die Lippen.
    »Und womit beschäftigt ihr euch?« flüsterte Colombina, die vor Neugier verging.
    Die Antwort klang feierlich.
    »Wir dienen der Ewigen Braut und widmen Ihr Gedichte. Und einige von uns, auserwählte Glückspilze, bringen Ihr die höchste aller Gaben dar – das eigene Leben.«
    »Wer ist das, die ewige Braut?«
    Er antwortete mit einem kurzen harten Wort, von dem Colombina der Mund trocken wurde: »Der TOD.«
    »Aber … aber wieso ist der Tod eine Braut? Unter den Anwärtern sind doch auch Frauen, zum Beispiel Loreley Rubinstein. Wozu braucht sie eine Braut?«
    »Das wird nur so gesagt, weil das Wort ›Tod‹ im Russischen weiblich ist. Für Frauen ist der TOD natürlich der Ewige Bräutigam. Bei uns geht es überhaupt immer sehr poetisch zu. Für die Anwärter ist der Tod sozusagen
la belle dame
|35|
sans merci
, die Schöne Dame, der wir Gedichte widmen und, wenn nötig, auch das eigene Leben. Für die Anwärterinnen ist der Tod ein Schöner Prinz oder ein Verwunschener Zarewitsch, je nach Geschmack.«
    Colombina krauste konzentriert die Stirn.
    »Und wie wird das Ritual der Vermählung vollzogen?«
    Da warf ihr Petja einen Blick zu, als wäre sie eine wilde Papuanegerin mit einem Nasenring.
    »Was denn, hast du noch nie von den ›Liebhabern des Todes‹ gehört? Darüber schreiben doch alle Zeitungen!« Er sah sie ungläubig an.
    »Ich lese keine Zeitungen«, erklärte sie spöttisch. »Das ist mir zu gewöhnlich.«
    »Mein Gott, dann weißt du nichts von den Selbstmorden in Moskau?«
    Colombina schüttelte den Kopf.
    »Schon vier von uns haben sich dem Tod vermählt.« Petja rückte näher, seine Augen glänzten. »Und für jeden fand sich sogleich ein Ersatz! Kunststück, von uns redet die ganze Stadt! Nur weiß niemand, wo wir sind und wer wir sind. Wenn du nach Moskau gekommen bist, um einen Schlußpunkt zu setzen, dann hast du das Glückslos gezogen. Vor dir steht der Mensch, der dir wirklich helfen kann. Du erhältst die Chance, unprovinziell aus dem Leben zu gehen, zu sterben nicht wie ein Schaf im Schlachthof, sondern erhaben und schön! Vielleicht gehen wir sogar zusammen wie Moretta und Lykanthrop.« Seine Stimme klang gefühlvoll. »Ich werde dich als Nachfolgerin für Moretta vorschlagen.«
    »Und wer ist Moretta?« rief Colombina begeistert, angesteckt von seiner Erregung, doch noch ohne zu begreifen.
    Sie wußte um diesen ihren Mangel – Begriffsstutzigkeit. Nein, für dumm hielt sie sich keineswegs (sie war gottlob |36| vielen an Klugheit überlegen), nur war ihr Verstand ein wenig langsam, und mitunter ärgerte sie sich über sich selbst.
    »Moretta und Lykanthrop waren die letzten Auserwählten«, flüsterte Petja. »Sie haben das Zeichen erhalten und sich sofort erschossen, elf Tage ist das her. Lykanthrops Platz ist schon wieder besetzt. Der von Moretta ist noch frei.«
    Der armen Colombina schwirrte der Kopf. Sie faßte nach Petjas Hand.
    »Das Zeichen? Was für ein Zeichen?«
    »Der Tod gibt seinem oder seiner Auserwählten ein Zeichen. Ohne das Zeichen darf man sich nicht töten, das ist streng verpönt.«
    »Aber was ist ein Zeichen? Wie sieht das aus?«
    »Es ist jedesmal anders. Unmöglich, es vorauszusehen, aber auch unmöglich, sich zu irren.«
    Petja sah seine erblaßte Begleiterin aufmerksam an und runzelte die Stirn.
    »Hast du’s mit der Angst gekriegt? Zu Recht, wir geben uns schließlich nicht mit Kinderspielen ab. Überleg’s dir, noch kannst du zurück. Du darfst nur deinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher