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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
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schuldbewußt und wurde augenblicklich abgestraft.
    »Cherubinchen«, sagte die Neue mit süßer Stimme. »Hat deine Mama dir nicht beigebracht, daß der Herr der Dame vorgestellt wird und nicht umgekehrt?«
    Der rohseidene Herr stellte sich sogleich selbst vor, legte dabei die Hand an die Brust und verbeugte sich.
    »Ich bin Kriton. Sie haben ein irres Gesicht, Mademoiselle Colombina. Darin vereinigen sich aufs berauschendste Unschuld und Laster.«
    Seinem Ton nach war das ein Kompliment, aber die »Unschuld« beleidigte Colombina.
    »Kriton – hat das nicht was mit Chemie zu tun?«
    Sie wollte spötteln, dem gerissenen Subjekt zeigen, daß er keine jugendliche Naive vor sich habe, sondern eine reife, selbstsichere Frau. Doch leider blamierte sie sich noch mehr |40| als bei der Literaturprüfung, da hatte sie Goethe den Vornamen Johann-Sebastian beigegeben.
    »Das ist aus den ›Ägyptischen Nächten‹«, antwortete der Rohseidene mit nachsichtigem Lächeln. »Erinnern Sie sich?
    Tra-ta-ta-ta, ein Weiser, seht,
    Im Hain des Epikur geboren.
    Kriton, Verehrer und Poet,
    Mit Amor im Gesang verschworen.«
    Nein, Colombina erinnerte sich nicht.
    »Mögen Sie es, sich nachts der Liebe hinzugeben, auf dem Dach, beim Brüllen eines Orkans, wenn die harten Strahlen eines Sturzregens Ihren nackten Körper peitschen?« erkundigte sich Kriton, ohne die Stimme zu senken. »Ich mag das sehr.«
    Die arme Colombina wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie blickte hilfesuchend zu Petja, aber der Verräter war mit besorgter Miene beiseite gegangen und hatte ein Gespräch angeknüpft mit einem ärmlich gekleideten jungen Mann, der recht häßlich aussah: glühende vorstehende Augen, beweglicher breiter Mund und ein von Mitessern gesprenkeltes Gesicht.
    »Sie haben bestimmt einen geschmeidigen Körper«, schwadronierte Kriton. »Pfeilgerad und sehnig, wie ein junges Raubtier. Ich sehe Sie geradezu in der Pose eines sprungbereiten Panthers.«
    Was sollte sie tun, was antworten?
    Nach dem Irkutsker Verhaltenskodex müßte sie dem frechen Kerl eine Ohrfeige hauen, aber hier, im Kreis der Auserwählten, war das undenkbar – man würde sie für scheinheilig oder, noch schlimmer, für eine affektierte Provinzgans halten. Und warum soll ich eigentlich beleidigt |41| sein? sagte sich Colombina. Schließlich hat der Mann ausgesprochen, was er dachte, und das war ehrlicher, als eine Frau, die ihm gefiel, in eine Unterhaltung über Musik oder irgendwelche Übel der Gesellschaft zu verwickeln. Kritons freche Reden brachten Colombina in Wallung – so hatte noch keiner mit ihr geredet. Sie musterte den offenherzigen Herrn genauer und befand, daß er irgendwie an den Waldgott Pan erinnerte.
    »Ich möchte Sie die schreckliche Kunst der Liebe lehren, junge Colombina«, gurrte der ziegenbeinige Schmeichler und preßte ihre Hand, die vor kurzem noch Petja gedrückt hatte.
    Colombina stand brettsteif da und duldete, daß er ihr die Finger knetete. Von ihrer Papirossa fiel ein Aschesäulchen zu Boden.
    In diesem Moment ging ein Raunen durch den Salon, und alle wandten sich der hohen ledergepolsterten Tür zu.
    Es war ganz still geworden, man hörte nur sich nähernde gemessene Schritte. Dann öffnete sich die Tür geräuschlos, und auf der Schwelle erschien eine Silhouette, ungewöhnlich breit, fast quadratisch. Doch im nächsten Moment, als der Mann das Zimmer betrat, zeigte sich, daß er von ganz gewöhnlichem Körperbau war, er hatte einfach eine weite schwarzen Robe angelegt, wie europäische Richter oder Universitätsdoktoren sie trugen.
    Es wurden keinerlei Begrüßungen gesprochen, doch Colombina hatte den Eindruck, daß sich beim Öffnen der Türflügel alles auf unfaßbare Weise verändert hatte: Die Schatten waren schwärzer, das Feuer heller, die Geräusche leiser geworden.
    Der Ankömmling dünkte sie zunächst ein Greis: altmodisch rundgeschnittenes graues Haar, ein kurzer weißer |42| Kinnbart. Wie Turgenjew, dachte Colombina. Haargenau wie auf dem Bild in der Bibliothek ihres Gymnasiums.
    Als der Mann in der Robe sich jedoch neben das Kohlenbecken stellte und der Widerschein der Glut sein Gesicht von unten beleuchtete, zeigte sich, daß seine Augen keineswegs die eines Greises waren – schwarz und strahlend, glühten sie stärker als die Kohlen. Colombina sah eine rassige Nase mit kleinem Höcker, dichte weiße Augenbrauen, fleischige Wangen.
Ehrwürdig
sieht er aus, jawohl, sagte sie sich. Wie Lermontow schrieb:
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