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Magazine of Fantasy and Science Fiction 23 - Am Tag vor der Ewigkeit

Magazine of Fantasy and Science Fiction 23 - Am Tag vor der Ewigkeit

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 23 - Am Tag vor der Ewigkeit
Autoren: V.A.
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füllen unsichtbare elektrische Felder sämtliche Räume, die irgendwelche Wertgegenstände enthalten. Selbst eine Katze könnte nicht durch die Säle streichen, ohne ein Dutzend Anzeigelampen aufblinken zu lassen.
    Im Augenblick leuchteten alle Lämpchen schwach und gleichmäßig. Ich öffnete meinen Werkzeugkasten, nahm ein Meßgerät heraus und begann mit einer vorläufigen Überprüfung der Schalttafel.
    »Man könnte wirklich schwören, daß dort jemand ist, wenn die Sache anfängt«, sagte der Wächter namens Dan. Er lachte verlegen. »Aber sobald einer von uns dorthin unterwegs ist, um nachzusehen, hört es plötzlich wieder auf.«
    Selbstverständlich war der Fehler nicht gleich bei einer flüchtigen Überprüfung der Schalttafel zu finden. Damit hatte ich auch nicht gerechnet; moderne elektronische Systeme sind zu kompliziert, um einfache Fehler zu haben. Ich tippte leicht gegen das Anzeigelämpchen 215, aber es leuchtete schwach und gleichmäßig weiter. »Kommt die Anzeige nur aus einem Raum?« erkundigte ich mich.
    »Ja«, antwortete der Wächter von seinem Sessel aus. »Die Lampe blitzt ein paarmal auf. Dann leuchtet sie hell und stetig, als halte sich dort drüben jemand unbeweglich in der Mitte des Saals auf. Und schließlich erlischt das Warnsignal wieder, sobald einer von uns dorthin unterwegs ist. Wir haben die Polizei gerufen, und als das nichts half, haben wir Sie benachrichtigt.«
    Ich legte das Meßgerät in den Kasten zurück und ließ den Deckel zuschnappen. »Am besten sehe ich mich selbst in zweihundertfünfzehn um«, entschied ich.
    »Wissen Sie, wo der Saal liegt?« Dan hatte eben einen Sandwich ausgewickelt. »Ich kann Sie hinführen.«
    »Danke, ich finde ihn auch allein.« Ich blieb an der Tür stellen und lächelte den beiden Männern zu. »Ich bin schon oft tagsüber hier gewesen, um mir die Bilder anzusehen.«
    »Oh. Sind Sie mit Ihrem Mädchen hier gewesen, was?« Die beiden lachten; sie waren offensichtlich erleichtert, weil ich gezeigt hatte, daß ich trotz meines grimmigen, abweisenden Gesichtsausdrucks ein Mensch wie sie war, der sogar lächeln konnte. Ich bin mir darüber im klaren, daß andere Leute oft diesen Eindruck von mir haben.
    Es war nicht schwer, den Saal 215 zu finden, denn alle Säle waren deutlich numeriert. Ich folgte den Nummern und durchquerte nacheinander das dreizehnte, vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert. Unzählige Christusdarstellungen, Marienbilder, Heilige und Ritter blieben auf diesem Weg hinter mir zurück.
    Ich sah das Bild schon aus einiger Entfernung, und der Türstock rahmte die andere Tür ein, in der das Mädchen stand. Ich ging unwillkürlich langsamer, als ich den Saal 215 betrat. Hier hingen etwa zwanzig weitere Gemälde, aber ich sah nur dieses eine.
    An diesem Abend hatte ich nicht an das Mädchen gedacht, bis ich es vor mir hatte; das war seltsam, denn wenn ich tagsüber kam, blieb ich stets vor seiner Tür stehen. Ich hakte kein Mädchen, das man mit in Gemäldegalerien nehmen kann – obwohl die Wächter es vermuteten.
    Der Künstler hat einen Augenblick festgehalten, in dem das Licht nur auf das Gesicht des Mädchens und auf seine linke Hand fällt, die auf dem geschlossenen unteren Teil der geteilten Tür ruht. Das Mädchen beugt sich etwas nach vorn, und der Kopf mit den kastanienbraunen Locken ist eine Kleinigkeit nach links geneigt, obwohl die Augen in die andere Richtung sehen. Es beobachtet und hört zu, das steht fest. Ich habe immer den Eindruck gehabt, das Mädchen erwarte jemand. Sein üppiger, gesunder Körper verbirgt sich unter einem einfachen dunklen Kleid. Betrachtet man die Haltung und das Gesicht dieses Mädchens, fragt man sich unwillkürlich, warum eigentlich soviel Aufhebens vom Lächeln der Mona Lisa gemacht wird.
    Auf der kleinen Tafel an der Wand neben dem Gemälde steht:
     
    REMBRANDT VAN RIJN
    NIEDERLÄNDER 1606–1669
    JUNGES MÄDCHEN AN EINER
    OFFENEN HALBTÜR
    1645
     
    Das Mädchen scheint damals siebzehn gewesen zu sein, als Rembrandt es sah, und es ist seitdem siebzehn geblieben, während die Menschen, die an seiner Tür vorübergegangen sind, aufgewachsen, alt geworden und verschwunden sind – Generation nach Generation.
    Das Mädchen wartet.
    Ich schrak aus meinem Traum auf und erinnerte mich daran, daß ich hier war, um einen Fehler im Überwachungssystem zu finden. Ich warf einen kurzen Blick in die angrenzenden Räume und lächelte über mich selbst, als ich plötzlich das Gefühl hatte, von
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