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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wußte, woher er kam. Prof. Morus schien neben dem Verwaltungsdirektor der einzige zu sein, dem das bekannt war, aber ihn zu fragen, scheute man. Ein Chefarzt ist ein kleiner König, man spricht ihn nicht an, sondern man wird von ihm angeredet.
    Mit dem Wegnehmen der Zigarettenschachtel war der Fall für Beißelmann erledigt. Schwester Inge und eine Küchenhilfe kamen mit den Tabletts und teilten das Frühstück aus. Vorher wusch Beißelmann dem Selbstmörder Frerich noch Hände und Gesicht, weil der dicke Verband ihn hinderte, sich frei zu bewegen.
    »Streuselkuchen!« sagte Brohl zufrieden, als er die Tabletts sah. »Und hoffentlich mehr Bohnen im Kaffeewasser als gestern.«
    »Für Ihren Pflegesatz ist's genug!« sagte Beißelmann.
    »Moment!« Ernst Brohl hob den Zeigefinger, eine Geste, die Beißelmann nur mit Anspannung größter Selbstbezwingung ertragen konnte. »Von jedem Toten kassiert das Krankenhaus unberechtigt Geld! Es ist bekannt, daß die meisten in der Nacht sterben! Aber bezahlt werden muß für den ganzen nächsten Tag! Frühstück, Mittagessen, Abendessen … wer frißt das denn, he?!«
    Beißelmann antwortete nicht. Er trug Heinrich Dormagen den Teller mit Suppe ans Bett. Er war der einzige, der keinen Streuselkuchen bekam, sogar Seußer bekam ein Stück, jedoch kleiner, fast die Hälfte der anderen, und dazu eine große Tasse mit einem kräftigenden Brei aus Früchten.
    »Da schweigt er!« rief Brohl angriffslustig. »Eine schöne Institution, die an Toten verdient! Kreuzdonnerwetter – wenn ich mal sterbe, warte ich bis nach dem Abendessen, dann seid ihr dumm dran!«
    Beißelmann sah kurz zu Ernst Brohl hinüber. Bronchialkarzinom, dachte er und wandte den Blick wieder weg. Er wird sich die Stunde nicht aussuchen können. Und er wird auch nicht mehr an das Abendessen denken, wenn es soweit ist. Luft, wird er schreien. Gebt mir Luft, Luft! Nur einen Atemzug lang Luft …
    Beißelmann schwieg weiter. In seine graugrünen Augen trat ein Hauch von Traurigkeit und Milde. Zwei von diesen fünf werden sterben, bevor der erste Schnee fällt, dachte er. Sie wissen es nicht, und das ist gut so. Man kann ihnen vieles im voraus verzeihen, man kann nachsichtig sein und geduldig … es ist das einzige, was man ihnen noch geben kann, ohne daß sie merken, daß es Mitleid ist.
    Inge Parth saß an der Schmalseite des Tisches und zeichnete die Fieberkurven in die Blätter ein. Heinrich Dormagen hatte erhöhte Temperatur. »Alles Nachwirkungen von dem Magenauspumpen!« sagte er und aß langsam seine breiige Suppe. »Sie müssen wissen: Ich bin, was meinen Körper angeht, ein sensibler Mensch.«
    Aber während er sprach, dachte er mit einem wohligen Gefühl: Um drei Uhr kommt Erna. Sie bringt mir Obst mit, zum Vorzeigen bei Schwester Inge und Angela. Und unter die Bettdecke schiebt sie mir ein Päckchen mit Schinken und zwei Fleischwürste. Immer diesen Papp von Suppen und Breien, das bringt doch einen Heinrich Dormagen nicht auf die Beine!
    »Der Kaffee ist wieder Mist!« sagte Ernst Brohl laut. »Ist doch merkwürdig: 'nen halben Magen können se einem wegschnippeln, aber 'nen vernünftigen Kaffee kochen, dazu reicht's einfach nicht!«
    Über die Gänge aller Stationen rollten jetzt die Teewagen mit den Streuselkuchenstückchen, dem Kaffee und den Breis. Geschirr klirrte, Türen klappten, Lachen quoll auf, jung, hell, aus fröhlicher Mädchenkehle. Von der nahen Kirche schlugen die Glocken zur Messe.
    Sonntagmorgen.
    »Wer gibt mir ein Stück Streuselkuchen ab?« fragte Dormagen, als Beißelmann und Schwester Inge das Zimmer verlassen hatten. »Nur eine Ecke; der Brei hängt mir wie Tapetenkleister im Hals fest.«
    Man gab ihm ein Stück Kuchen; wie ein beschenktes Kind aß er mit glänzenden Augen. Nach ein paar Minuten spürte er es im Magen. Wie frischer Hefeteig schien es aufzuquellen und den ganzen Magen auszufüllen.
    Da bekam Heinrich Dormagen Angst und legte sich still und flach auf den Rücken. Er hatte das Gefühl, so voll zu sein, daß er platzen müsse.
    »Sie haben zu wenig Magensäure, und mit der Bauchspeicheldrüse stimmt auch etwas nicht«, hatte der Hausarzt gesagt. »Am besten, wir lassen Sie mal in der Klinik beobachten und gründlich untersuchen.« Gestern hatte ihn auch Oberarzt Dr. Pflüger getröstet. »Es ist gar nichts. Sie haben ziemlich nervöse Magennerven. Nicht aufregen, Herr Dormagen. Denken Sie an das vegetative Nervensystem.«
    Im Magen wuchs und wuchs das Stück
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